Uniformer Raum
Uniforme Räume sind im Teilgebiet Topologie der Mathematik Verallgemeinerungen metrischer Räume. Jeder metrische Raum kann auf natürliche Weise als uniformer Raum betrachtet werden, und jeder uniforme Raum kann auf natürliche Weise als topologischer Raum betrachtet werden.
Ein uniformer Raum ist eine Menge mit einer sogenannten uniformen Struktur, die eine Topologie auf der Menge definiert, zusätzlich aber erlaubt, Umgebungen an verschiedenen Punkten miteinander zu vergleichen und die aus der Theorie der metrischen Räume bekannten Begriffe wie Vollständigkeit, gleichmäßige Stetigkeit und gleichmäßige Konvergenz zu verallgemeinern und zu abstrahieren.
Das Konzept der uniformen Räume gestattet die Formalisierung der Idee, dass „ein Punkt gleich nah bei einem anderen Punkt ist, wie ein dritter Punkt bei einem vierten Punkt “, während in topologischen Räumen nur Aussagen der Form „ ist gleich nah bei wie bei ist“ gemacht werden können. Anders als bei metrischen Räumen wird dieser Vergleich hier nicht durch ein Abstandsmaß vermittelt, sondern durch eine direkte Beziehung zwischen den Umgebungsfiltern von und .
Neben metrischen Räumen induzieren auch topologische Gruppen uniforme Strukturen auf der unterliegenden Menge.
Ein topologischer Raum, zu dessen Topologie es eine uniforme Struktur gibt, die jene induziert, heißt uniformisierbarer Raum. Dieser Begriff ist äquivalent zu dem des vollständig regulären Raumes.
Geschichte
Bevor André Weil im Jahr 1937 die erste explizite Definition einer uniformen Struktur gab, wurden uniforme Konzepte überwiegend im Zusammenhang mit metrischen Räumen diskutiert. Nicolas Bourbaki präsentierten in ihrem Buch Topologie Générale eine Definition einer uniformen Struktur, die auf Nachbarschaften aufbaut, und John W. Tukey lieferte eine Definition, die auf uniformen Überdeckungen basiert. André Weil charakterisierte uniforme Räume mit Hilfe einer Familie von Pseudometriken.
Definition
Definition mit Nachbarschaften
Ein uniformer Raum ist eine Menge
zusammen mit einer nichtleeren Familie
von Teilmengen des kartesischen Produkts
, welche die folgenden Axiome erfüllt:
- Alle Mengen, die zu
gehören, enthalten die Diagonale
.
- Falls
ist und
eine weitere Teilmenge in
, welche
enthält, so ist auch
.
- Falls
und
in
sind, so liegt auch
in
.
- Für jedes
existiert ein
mit der Eigenschaft
.
- Für jedes
ist auch
.
heißt uniforme Struktur. Die Elemente von
werden Nachbarschaften genannt. Die Axiome 2, 3 und 5 lassen sich zusammenfassen als: Eine uniforme Struktur ist ein Mengenfilter über
, sodass die symmetrischen Elemente eine Filterbasis der Struktur sind.
Man schreibt . Eine typische Nachbarschaft wird graphisch oft als ein Schlauch um die Diagonale
in
gezeichnet.
ist eine typische Umgebung von
.
ist dann eine typische Umgebung von
. Man betrachtet dann die beiden Umgebungen als gleich groß.
Definition mit gleichmäßigen Überdeckungen
Ein uniformer Raum ist eine Menge
zusammen mit einer Familie
von Überdeckungen von
, die bezüglich der Stern-Verfeinerung einen Filter bilden. Dabei ist die Überdeckung
eine Stern-Verfeinerung der Überdeckung
(geschrieben
), falls für jedes
ein
existiert, so dass für jedes
mit
auch
gilt. Dies reduziert sich auf folgende Axiome:
ist in
.
- Ist
und
, so gilt auch
- Sind
und
in
, so existiert ein
in
mit
und
.
Die Elemente aus werden gleichmäßige Überdeckungen genannt.
selbst heißt Überdeckungsstruktur.
Für einen Punkt und eine gleichmäßige Überdeckung
bildet die Vereinigung jener Elemente von
, die
enthalten, eine typische Umgebung von
der Größe
. Dieses Maß kann anschaulich gleichmäßig auf dem ganzen Raum angewandt werden.
Sei ein uniformer Raum definiert durch Nachbarschaften gegeben. Dann heißt eine Überdeckung gleichmäßig, falls eine Nachbarschaft
existiert, so dass für jedes
ein
mit
existiert. Die so definierten gleichmäßigen Überdeckungen bilden einen uniformen Raum gemäß der zweiten Definition.Sei umgekehrt ein uniformer Raum durch gleichmäßige Überdeckungen gegeben. Dann bilden die Obermengen von
, wobei
die uniformen Überdeckungen durchläuft, die Nachbarschaften eines uniformen Raumes gemäß der ersten Definition. Diese beiden Transformationen sind zueinander invers.
Definition durch Pseudometriken
Uniforme Räume können weiter auch mit Hilfe von Systemen von Pseudometriken definiert werden. Dieser Ansatz, der im Artikel Pseudometrik genau beschrieben wird, erweist sich insbesondere in der Funktionalanalysis als nützlich.
Fundamentalsystem einer uniformen Struktur
Sei ein Nachbarschaftssystem. Ein Teilsystem
von
heißt Fundamentalsystem von
, wenn jede Nachbarschaft aus
eine Nachbarschaft aus
enthält (das heißt, dass
eine Filterbasis von
ist).
Ein Fundamentalsystem spielt für die uniforme Struktur dieselbe Rolle, die eine Basis für die Topologie in allgemeinen topologischen Räumen spielt. Dies lässt sich so präzisieren: Bezeichne
die Menge der -Nachbarschaften eines Punktes
, und sei
.
Dann ist eine Umgebungsbasis von
und die Vereinigung
aller Umgebungsbasen eine Basis der Topologie.
Ein Kriterium für Fundamentalsysteme
Wie eine Basis zur Definition einer eindeutigen topologischen Struktur verwendet werden kann, so kann man mit einem Fundamentalsystem eine eindeutige uniforme Struktur definieren:
Sei ein System von Teilmengen von
mit folgenden Eigenschaften:
- Jedes Element von
enthält die identische Relation.
- Jeder endliche Durchschnitt von Mengen aus
enthält eine Menge aus
.
- Für jedes Element
aus
existiert
aus
mit
.
- Für jedes Element
aus
existiert
aus
mit
.
Dann ist der von erzeugte Filter
eine uniforme Struktur auf
mit
als Fundamentalsystem. (Mit
bzw.
ist die Umkehrung bzw. Verkettung im Relationensinn gemeint.)
Diese vier Eigenschaften beschreiben die Elemente von als Klasse von binären Relationen auf
. Die erste Eigenschaft fordert die Reflexivität jeder dieser Relationen. Die zweite Eigenschaften beschreibt das Verhältnis dieser Relationen untereinander, sie lässt sich auch so formulieren:
- Jede endliche Menge von Relationen aus
hat eine gemeinsame Verschärfung in
.
Die dritte und vierte Eigenschaft schwächen folgende Attribute von Einzelrelationen ab:
- Sind alle Relationen aus
symmetrisch, dann ist 3. erfüllt.
- Sind alle Relationen aus
transitiv, dann ist 4. erfüllt.
Anwendungsbeispiel
Sei eine Menge,
ein uniformer Raum und
die Menge der Abbildungen von
nach
. Setzt man für jede Nachbarschaft
,
dann bildet die Menge der so definierten Nachbarschaften auf ein Fundamentalsystem einer uniformen Struktur auf
. Mit dieser Konstruktion lässt sich die uniforme Struktur des Bildraums auf die volle Abbildungsmenge
und damit auch auf jede Teilmenge von
(als Unterraum) übertragen.
Anschauung
In metrischen Räumen werden Begriffe wie Stetigkeit und Gleichmäßigkeit gewöhnlich mit Hilfe von und
definiert, welche die Nähe numerisch beschreiben. In topologischen Räumen wird diese Anschauung mit Hilfe von Umgebungen
eines Punktes
ausgedrückt. Dabei ersetzt der Ausdruck
die Bezeichnung
. Die
-
-Definition der Stetigkeit überträgt sich dann direkt auf topologische Räume.
In uniformen Räumen ist der Ersatz für
. Weiter kann auch die
-
-Definition der gleichmäßigen Stetigkeit direkt in die entsprechende Definition in uniformen Räumen übersetzt werden.
Die uniforme Struktur erlaubt es, Nähe nicht nur, wie in allgemeinen topologischen Räumen, für jeden Punkt einzeln zu betrachten, sondern man hat einen gleichmäßigen Begriff von Nähe zur Verfügung, der sich auf den ganzen Raum anwenden lässt.
Die Axiome für Nachbarschaften garantieren ein nichtnumerisches Maß für die Nähe. Das vierte Axiom beinhaltet sowohl die Dreiecksungleichung als auch die Möglichkeit, Mengen zu halbieren.
Die Anschauung für eine gleichmäßige Überdeckungsstruktur ist, dass verschiedene Elemente einer Überdeckung als gleich groß betrachtet werden. Die Bedeutung der Sternverfeinerung ist, dass falls gilt, dann Mengen der Größe
halb so groß sind wie Mengen der Größe
.
Gleichmäßig stetige Funktionen
Eine gleichmäßig stetige Funktion ist dadurch definiert, dass Urbilder von Nachbarschaften wiederum Nachbarschaften sind, oder äquivalent, dass Urbilder von gleichmäßigen Überdeckungsstrukturen wieder gleichmäßige Überdeckungsstrukturen sind.
So wie die stetigen Funktionen zwischen topologischen Räumen die topologischen Eigenschaften erhalten, erhalten gleichmäßig stetige Funktionen die uniformen Strukturen. Ein Isomorphismus zwischen uniformen Strukturen, also eine in beiden Richtungen gleichmäßig stetige Bijektion, heißt uniformer Isomorphismus.
Topologie uniformer Räume
Jede uniforme Struktur auf einer Menge induziert auch eine Topologie auf
. Dabei ist eine Teilmenge
von
genau dann offen, wenn für jedes
in
eine Nachbarschaft
existiert, so dass
eine Teilmenge von
ist. Es ist möglich, dass verschiedene uniforme Strukturen dieselbe Topologie auf
erzeugen. Die resultierende Topologie ist eine symmetrische Topologie, d. h., der Raum ist ein R0-Raum.
Weiter ist jeder uniforme Raum ein vollständig regulärer Raum, und auf jedem vollständig regulären Raum kann eine uniforme Struktur definiert werden, welche die gegebene Topologie erzeugt.
Ein uniformer Raum ist genau dann ein Kolmogoroff-Raum, wenn der Durchschnitt aller Nachbarschaften die Diagonale ist. In diesem Fall ist
sogar ein Tychonoff-Raum und somit insbesondere ein Hausdorff-Raum.
Vollständigkeit
In Analogie zu vollständigen metrischen Räumen kann man auch Vollständigkeit in uniformen Räumen untersuchen. Anstelle von Cauchy-Folgen arbeitet man mit Cauchynetzen oder Cauchyfiltern.
Ein Cauchyfilter auf einem uniformen Raum ist ein Filter
, so dass für jede Nachbarschaft
ein
mit
existiert. Ein uniformer Raum heißt vollständig, falls jeder Cauchyfilter konvergiert.
Wie bei metrischen Räumen hat jeder uniforme Raum eine Vervollständigung, das heißt, es existiert ein separierter uniformer Raum und eine gleichmäßig stetige Abbildung
, so dass zu jeder gleichmäßig stetigen Abbildung
in einen vollständigen, separierten, uniformen Raum
eine eindeutig bestimmte gleichmäßig stetige Abbildung
mit
existiert. Ähnlich wie bei metrischen Räumen kann diese Vervollständigung über Äquivalenzklassen von Cauchyfiltern definiert werden. Dabei gilt
, falls
ein Cauchyfilter ist. Für eine Nachbarschaft
auf
ist
eine Nachbarschaft auf der Menge der
-Äquivalenzklassen von Cauchyfiltern.
Stattdessen können auch minimale Filter bzw. runde Filter verwendet werden. Ein Filter heißt rund, falls
impliziert, dass eine Nachbarschaft
und ein
existieren, so dass
. Jede
-Äquivalenzklasse enthält genau einen minimalen bzw. runden Filter, somit kann die Vervollständigung auf der Menge der minimalen/runden Cauchyfilter definiert werden.
Beispiele
Jeder metrische Raum besitzt eine uniforme Struktur, deren Topologie mit der von der Metrik erzeugten Topologie übereinstimmt. Dazu definiere man für jedes
die Nachbarschaft
und die uniforme Struktur
Diese Konstruktion macht die Verallgemeinerung der metrischen auf die uniformen Räume besonders augenfällig.
Beispiele aus der Theorie metrischer Räume zeigen, dass verschiedene uniforme Strukturen dieselbe Topologie erzeugen können. Sei zum Beispiel die gewöhnliche Metrik auf
und
. Beide Metriken erzeugen die Standardtopologie auf
, die zugehörigen uniformen Strukturen sind dagegen verschieden. So ist
eine Nachbarschaft in der von
erzeugten uniformen Struktur, aber nicht für diejenige von
. Dies drückt sich dadurch aus, dass die „Identität“
zwar stetig aber nicht gleichmäßig stetig ist.[1]
Jede topologische Gruppe (und damit speziell jeder topologische Vektorraum)wird zu einem uniformen Raum, wenn wir die Teilmengen
von
als Nachbarschaften definieren, die eine Menge der Form
für eine Umgebung
des neutralen Elementes von
enthalten. Die so definierte uniforme Struktur heißt rechte uniforme Struktur auf
, da für jedes
in
die Rechtsmultiplikation
gleichmäßig stetig ist. Man kann auch analog eine linke uniforme Struktur auf
definieren. Die beiden uniformen Strukturen können verschieden sein, erzeugen aber dieselbe Topologie auf
. Wenn die Topologie einer topologischen Gruppe von einer linksinvarianten Metrik erzeugt wird, dann stimmt die linksuniforme Struktur der topologischen Gruppe mit uniformen Struktur als metrischer Raum überein. Beispielsweise stimmt die uniforme Struktur von
als topologische Gruppe mit der uniformen Struktur von
als metrischer Raum (mit der Standard-Metrik) überein.
Jeder kompakte Hausdorff-Raum trägt eine eindeutige uniforme Struktur, die die gegebene Topologie induziert. Die Eindeutigkeit folgt daraus, dass stetige Funktionen auf kompakten Räumen gleichmäßig stetig sind und somit jeder Homöomorphismus auch uniformer Isomorphismus ist.
Anmerkungen
Literatur
- Ioan M. James: Introduction to Uniform Spaces (= London Mathematical Society Lecture Note Series. Bd. 144). Cambridge University Press, Cambridge u. a. 1990, ISBN 0-521-38620-9.
- Boto von Querenburg: Mengentheoretische Topologie (= Springer-Lehrbuch). 3., neu bearbeitete und erweiterte Auflage. Springer, Berlin u. a. 2001, ISBN 3-540-67790-9.