Grenfell Tower

Hochhaus in London
(Weitergeleitet von Brand im Grenfell Tower)

Der Grenfell Tower in London ist die Brandruine eines ehemaligen 24-geschossigen Wohnhochhauses im Stadtviertel North Kensington des Royal Borough of Kensington and Chelsea im Westen der Stadt. Sie steht unweit der U-Bahn-Station Latimer Road.[5] In der Nacht vom 13. auf den 14. Juni 2017 brannte das 1974 fertiggestellte und 2015/16 modernisierte Sozialwohnungsobjekt weitgehend aus. Der Brand breitete sich über die neu wärmegedämmte vorgehängte hinterlüftete Fassade innerhalb weniger Minuten aus. 72 Menschen kamen dabei ums Leben.[6]

Grenfell Tower
Grenfell Tower
Grenfell Tower nach dem Brand, 2017
Basisdaten
Ort:North Kensington, London
Bauzeit:1972–1974
Eröffnung:1974
Sanierung:Februar 2015 – Juli 2016
Status:Ruine, nach Großbrand am 14. Juni 2017
Baustil:Moderne
Architekt:Nigel Whitbread und Team (Errichtung)
Architekten:Studio E LLP (Sanierungs- und Umbaumaßnahmen)
Koordinaten:, 0° 12′ 56,7″ W51° 30′ 50,5″ N, 0° 12′ 56,7″ W
Grenfell Tower (Greater London)
Grenfell Tower (Greater London)
Nutzung/Rechtliches
Nutzung:Büro- und Wohngebäude
Wohnungen:129 (Stand Juni 2017)[1][2]
Eigentümer:Royal Borough of Kensington and Chelsea
Bauherr:London Borough of Kensington and Chelsea (LBKC)
Hausverwaltung:Kensington and Chelsea Tenant Management Organization (KTMO)
Technische Daten
Höhe bis zur Spitze:67[3] oder 70[4] m
Höhe bis zum Dach:67 oder 70 m
Etagen:24
Konstruktion:Stahl-Ortbeton, Leichtbauwände
Anschrift
Anschrift:Lancaster West Estate, Grenfell Walk
Postleitzahl:London W11 1TG
Stadt:London
Land:Vereinigtes Königreich

Baugeschichte

Vorgeschichte

In der Nachkriegszeit kam es wie in vielen Teilen Europas auch in den Ballungsgebieten des Vereinigten Königreiches zu einem erhöhten Bedarf an günstigem Wohnraum. Zugleich gab es den Wunsch nach zeitgemäßer Ausstattung und einem moderneren Umfeld. Die vor den Weltkriegen des 20. Jahrhunderts erbauten Wohnviertel aus der Zeit der Industrialisierung wurden als defizitär angesehen und vielfach zu Slums. Besonders in den 1960er Jahren wollte sich die Politik an der Anzahl der pro Jahr errichteten neuen Wohneinheiten messen lassen. Überall auf den britischen Inseln entstanden bis in die 1970er Jahre neue moderne Wohngebiete, die zu 20 % auch Hochhäuser umfassten.

Einige der nach dem Leitbild der Moderne gestalteten Wohnanlagen ließen handwerklich, ästhetisch oder vor allem sozial zu wünschen übrig und gerieten bald als billig und problembehaftet in Verruf. Doch anstatt die Qualität zu steigern und die Anlagen damit für breite Schichten attraktiv zu halten, wurde verstärkt auf billige Sozialwohnungen gesetzt und als Kontrast dazu das Eigenheim in den Vorstädten zum Ideal erhoben.[7]

Eine Gasexplosion ließ 1968 das gerade zwei Monate bezugsfertige, in Großtafelbauweise errichtete Hochhaus Ronan Point im Ost-Londoner Stadtbezirk Newham wie ein Kartenhaus teilweise zusammenstürzen. Vier der Bewohner starben. Der Ruf der modernen Wohnhochhäuser war ruiniert. Eine Untersuchungskommission, der u. a. Alfred Pugsley angehörte, deckte die vielfältigen Mängel auf, die zu dem Einsturz beigetragen hatten.

Bau des Grenfell Tower

Der Grenfell Tower vor der Fassadensanierung

Im Zuge des Stadtteilsanierungsprojektes Lancaster Road West entstand die mit Mitteln der öffentlichen Hand finanzierte Großsiedlung Lancaster West Estate. Der Bau eines Hochhauses, des einzigen seines Architekten Nigel Whitbread,[8] wurde 1970 genehmigt und A.E. Symes mit der Umsetzung beauftragt.[5][9] Nach den Lehren aus Ronan Point entwarfen sie einen verbesserten Gebäudetypus aus Stahlbeton mit äußeren Betonstützen und einem Gebäudekern aus Ortbeton.[10] Ab 1972 entstanden so in Phase 1 der geplanten Maßnahmen 120 Zwei- und Dreizimmerwohnungen, bei jeweils 6 Einheiten pro Stockwerk.[11] Der Grenfell Tower getaufte Bau wurde 1974 fertiggestellt.

Hauseigentümer und Hausverwaltung

Im Grenfell Tower lebten etwa 600 Menschen. Er war Eigentum der Kommunalverwaltung Kensington and Chelsea London Borough Council. Er wurde von der Kensington and Chelsea Tenant Management Organisation (KCTMO) verwaltet.[12] Die KCTMO ist ein gemeinnütziges Unternehmen mit einem mehrheitlich mit Mietervertretern besetzten (acht Mietervertreter, vier Vertreter der Kommunalverwaltung, drei unabhängige Mitglieder) Verwaltungsrat bzw. „Board“. Die KCTMO betreute zum Zeitpunkt des Brandes 9.459 Immobilienobjekte in ihrem Einzugsbereich.[13]

Renovierung und Fassadensanierung

Architekten

Im Jahr 2012 wurde mit Hilfe der Architekten von Studio E ein Sanierungsplan für das Gebäude entwickelt, der auch eine Mieterbefragung beinhaltete. Den Wünschen der Mieter nach doppelverglasten Fenstern, einer Wärmedämmung der Fassade und Gasetagenheizungen in den Wohnungen wurde nachgekommen. Zudem wurden leerstehende untere Gebäudeteile neu zugeschnitten und teilweise als zusätzliche Wohnfläche umgewidmet. Eine Neugestaltung der Wege wurde ebenso durchgeführt.

Studio E erhielt von der Kommunalverwaltung den Planungsauftrag ohne Ausschreibung, als beide bereits am Neubau des direkt nördlich an den Grenfell Tower angrenzenden Freizeit- und Bildungszentrums zusammenarbeiteten. Darüber hinaus hatte sich die Firma einen guten Ruf erarbeitet und an anspruchsvollen Gebäuden gearbeitet. Studio E besaß aber noch keine Erfahrung im Umgang mit Wohnhäusern oder Hochhäusern und hätte nach eigener Einschätzung den Auftrag im Rahmen einer regulären Ausschreibung nicht erhalten. Die Kommunalverwaltung und die KCTMO wünschten, den benachbarten Neubau und die Fassadensanierung des Turms zwar organisatorisch getrennt, aber mit Blick auf Synergien möglichst parallel durchzuführen.[inq2 1]

Nach Fertigstellung der Planungen für die Kommunalverwaltung wurde Studio E durch das Generalunternehmen Rydon als Auftragnehmer weiter beschäftigt.[inq2 2] Allerdings wurde diese Geschäftsbeziehung erst im Februar 2016 formell besiegelt, als die Arbeiten an der Fassadenverkleidung bereits fortgeschritten waren.[inq2 3]

Brandschutz

Die KCTMO beauftragte die Beratungsfirma Exova, den Entwurf für einen Brandschutzplan zu erstellen. Dieser Entwurf ging an die Architekten Studio E. Weder erhielt Exova danach von der KCTMO den Auftrag, diesen Plan fertigzustellen, noch war sie bei der Planung der Fassade involviert oder wurde vom Generalunternehmen Rydon weiter beschäftigt.[inq2 4]

Bauunternehmen

Rydon Ltd. wurde im Jahr 2014 als Generalunternehmer mit der Umsetzung der Maßnahmen beauftragt. Die Arbeiten fanden von Februar 2015 bis Juni 2016 statt, die Kosten beliefen sich auf 10 Mio. britische Pfund, was im Juni 2016 etwa 13 Mio. Euro entsprach.[14]

Die Fassadenarbeiten führte die Firma Harley Facades zu einem Preis von 2,6 Mio. Pfund (3,38 Mio. Euro im Juni 2016) durch.[15][16]

Materialien

Flache Aluminium-Verbundplatte. Seitenansicht, 2,7 mm dick.

Die neue Fassade bestand aus folgenden Elementen:[inq1 1][inq1 2]

  • der ursprünglichen Betonfassade
  • einer Wetterschutzmembran zwischen den neuen Fenstern und der ursprünglichen Fassade
  • neuen Fenstern und Fensterrahmen
  • Sandwichpaneelen zur Ausfachung zwischen bestimmten Fenstern
  • kleinen, aus Sandwichpaneelen geformten Fenstereinsätzen, die wie Mauerkästen dem Wrasenabzug dienten
  • direkt auf die ursprüngliche Fassade geklebter Wärmedämmung
  • um jedes Fenster unter der Innenverkleidung angebrachte Wärmedämmung
  • dem Hohlraum zur Hinterlüftung der vorgehängten Fassade
  • weiteren Hohlräumen, die aus verschiedenen Gründen entstanden
  • der vorgehängten Fassade
  • Fixierungen und Tragwerk

Es wurden Fenster aus Hart-PVC eingesetzt, die Fugen mit elastischem EPDM wetterfest gemacht. Die neue Fensterebene lag außerhalb der bisherigen Betonfassade.

Flächen zwischen Fenstern wurden mit einfachen, mit einem dünnen Aluminiumblech versehenen Polystyrol-Dämmplatten (PS) des Typs Aluglaze der Firma Panel Systems ausgefacht.[17] Sie sind in der europäischen Klasse zum Brandverhalten E eingestuft. Der Vertreter des Herstellers gab bei der Untersuchung an, nicht gewusst zu haben, dass die Platten für ein Hochhaus geliefert wurden. Aufgrund fehlender genauerer Angaben sei das Standardprodukt geliefert worden. Bei einem Hochhaus wäre ein Produkt der strengeren Klasse zum Brandverhalten B erforderlich gewesen.[inq2 5][inq2 6]

Für die Wärmedämmung wurden 150 mm dicke, beidseitig mit Aluminiumfolie kaschierte Hartschaumplatten aus Polyisocyanuraten (PIR) des Typs Celotex RS5000[18] auf die ursprüngliche Betonfassade geklebt.[15] PIR ist thermisch verhältnismäßig stabil, eine Zersetzung beginnt oberhalb 400 °C und es enthält Cyanursäure.[19]

An einem kleinen Bereich der Fassade wurden ungeplant durch Harley Facades aufgrund kurzfristiger Lieferprobleme nicht die Celotex RS5000, sondern Kingspan K15-Platten angebracht, um eine Verzögerung der Montagearbeiten um wenige Tagen zu verhindern. Diese Platten bestehen aus Phenolharzschaum (PF), der mit einer perforierten Folie kaschiert war. Sie erwiesen sich in Prüfungen als hochgradig entflammbar, wurden jedoch als geeignet zertifiziert und daher bedenkenlos verbaut.[inq2 5]

Unterhalb der Fensterzeilen sah die Planung in jedem Stockwerk horizontale, gebäudeumlaufende Brandriegel vor, ebenso um die Fenster.

Dämmung und Brandriegel wurden mit einer vorgehängten hinterlüfteten (25–50 mm) Fassade aus 3 mm dicken Aluminium-Polyethylen-Verbundplatten vom Typ Reynobond PE55 von Arconic (zuvor Alcoa) mehrfarbig verkleidet.[20]

Der Hersteller beschreibt die Reynobond-Verbundplatten als „aus zwei einbrennlackierten Aluminiumblechen“ bestehend, „die beidseitig im Schmelzfixierverfahren auf einen Polyethylenkern aufgebracht werden.“[21] Polyethylen hat einen Schmelzpunkt von 130 bis 145 °C. Die günstig herstellbare Platte ist in der Schichtung vergleichbar mit Dibond-Platten und erreicht ebenso die Brandschutzklasse B2 „normal entflammbar“.[22][23] Von der Platte gibt es zwei weitere Versionen mit anderen Kernmaterialien, die nach EN-13501 höhere Brandschutzklassen B-s1, d0 („schwer entflammbar“) und A2-s1, d0 („nicht brennbar“) erreichen.[22][23]

Die Aluminium-Polytheylen-Verbundplatten wurden, je nach Montageort, sowohl flach vernietet als auch als Kassetten auf der Unterkonstruktion befestigt. Kassetten sind Verbundplatten mit zur Seite umgeschlagenen Rändern, die jeder einzelnen Platte eine flache Kastenform geben. Die Befestigung am Tragwerk erfolgt dabei verdeckt an den umgeschlagenen Rändern. Dort sammelte sich allerdings brennend abtropfender Kunststoff, anstatt nach unten abzufließen.

Grenfell Action Group: Warnungen vor Sicherheitsmängeln

Anwohner der Lancaster West Estate organisierten sich 2010 in der Grenfell Action Group[24] und wandten sich seit 2012, als sie in die Planung der Sanierung des Grenfell Towers eingebunden wurden, regelmäßig an die gemeinnützige Hausverwaltung, um auf Missstände aufmerksam zu machen. 2013 veröffentlichten sie Teile eines im Vorjahr erstellten Gutachtens, das signifikante Verstöße gegen Brandschutzvorgaben publik machte. So waren Teile der Brandbekämpfungsausrüstung seit drei Jahren nicht gewartet worden. Ihre Bemühungen dokumentierten sie in einem Blog.[25] So schrieben sie im November 2016:[26]

“It is a truly terrifying thought but the Grenfell Action Group firmly believe that only a catastrophic event will expose the ineptitude and incompetence of our landlord, the KCTMO, and bring an end to the dangerous living conditions and neglect of health and safety legislation that they inflict upon their tenants and leaseholders. We believe that the KCTMO are an evil, unprincipled, mini-mafia who have no business to be charged with the responsibility of looking after the every day management of large scale social housing estates and that their sordid collusion with the RBKC Council is a recipe for a future major disaster.”

„Es ist ein wahrlich erschreckender Gedanke, aber die Grenfell Action Group ist der entschiedenen Ansicht, dass nur ein katastrophales Ereignis das Unvermögen und die Inkompetenz unseres Vermieters, der KCTMO [Kensington and Chelsea Tenant Management Organisation], entlarven und den gefährlichen Lebensumständen und Missachtung der Gesundheits- und Sicherheitsvorschriften ein Ende setzen wird, die dieser seinen Mietern und Pächtern zumutet. Wir glauben, dass die KCTMO eine bösartige prinzipienlose Mini-Mafia ist, die ihre Aufgabe nicht in der Verantwortung des Tagesgeschäfts in der Leitung großer sozialer Wohnsiedlungen sieht, und dass ihre niederträchtige Abmachungen mit dem RBKC [Royal Borough of Kensington and Chelsea] Council ein Rezept für ein zukünftiges großes Desaster ist.“

Stay-put-Regel und baulicher Brandschutz

Die Stay-put-Regel besagt, dass nicht direkt vom Brand betroffene Bewohner in ihren Wohnungen bleiben sollen, bis sie von der Feuerwehr andere Anweisungen erhalten.

Die Brandbekämpfung in Hochhäusern basiert auf der Grundannahme, dass ein normaler Wohnungsbrand von der Feuerwehr im Innenangriff beherrscht werden kann. Die Baugesetzgebung im Vereinigten Königreich legte das Hauptaugenmerk beim baulichen Brandschutz in Wohnhochhäusern auf die Abschottung der Stockwerke und Wohneinheiten untereinander. Ein Brand sollte sich nicht, oder allenfalls nach einer längeren Zeitspanne, auf weitere Wohnungen ausbreiten können. Menschenrettung sollte daher nicht im größeren Umfang erforderlich werden, weil die Bewohner zum Verbleib in ihren einstweilig sicheren Wohnungen aufgefordert werden, so sie nicht von Feuer, Hitze oder Rauch direkt betroffen sind.[27]

Eine Brandausbreitung entlang der ursprünglichen, unbrennbaren Betonfassade des Grenfell Tower wäre allenfalls aufgrund des Coandă-Effekts erwartbar gewesen. Auch die neu aufgeklebten aluminiumkaschierten PIR-Dämmplatten waren für sich genommen schwer entflammbar. Vorgehängte Aluminium-Polyethylen-Verbundplatten, wie sie als äußere Wetterschutzschicht am Grenfell Tower verbaut wurden, sind aber als normal entflammbar eingestuft. Sie bergen in der Gesamtbetrachtung der möglichen Wechselwirkungen aller Fassadenelemente ein erhebliches Gefahrenpotenzial.[28]

Bei einem tödlichen Großbrand im Londoner Wohnhochhaus Lakanal House im Jahr 2009 sorgten Hochdrucklaminat-Verbundplatten (HPL-Schichtstoff) für die Brandausbreitung über mehrere eigentlich gegeneinander abgeschottete Stockwerke hinweg. Die Lehren daraus hatten sich in der Fachwelt verbreitet, fanden jedoch keinen Niederschlag in der Baugesetzgebung und deren Durchsetzung.[28] Ungeachtet des Risikos wurden über Jahre hinweg weiterhin Wohngebäude aus Kostengründen mit leicht entflammbaren Fassadenverkleidungen neu errichtet oder saniert und genügten dabei allen Vorschriften.

Entsprechendes galt beim Grenfell Tower, für den die Stay-put-Regel als Verhaltensvorgabe bestehen blieb.[29][30] Im Zuge der Renovierungs- und kleineren Umbauarbeiten wurden als Wohnungseingangstüren feuerhemmende T30-Türen verbaut, die Feuer 30 Minuten lang widerstehen.[31] Nach wie vor gab es keine Sprinkleranlage.

Die Brandschutzingenieurin Dr. Lane schrieb 2018 in ihrem Bericht für die richterliche Untersuchung der Katastrophe, dass die Stay-put-Regel gescheitert sei, als sich das Feuer eine halbe Stunde nach Brandausbruch durch eine Fensteröffnung auf die neue Fassadenverkleidung ausgedehnt habe. Die strikte Abschottung der Stockwerke untereinander als zentrales Element des vorbeugenden Brandschutzes sei damit ausgehebelt gewesen. Dieser Sachverhalt sei der Feuerwehr nicht bewusst gewesen. Sowohl die Notrufzentrale wie auch die zuerst eintreffenden Einsatzkräfte gingen zu lange von einem Routineeinsatz mit einem wirksamen Brandschutz aus. Den Bewohnern sei daher zu spät geraten worden, das Hochhaus zu verlassen.[27][inq1 1]

Flucht- und Rettungswege

Im Gebäude gab es ein einziges Treppenhaus. Es musste im Brandfall sowohl als Fluchtweg für die Bewohner wie als Rettungs-, Angriffs- und Versorgungsweg für die Feuerwehr dienen. Den Vorschriften im Vereinigten Königreich gemäß war es nicht als Sicherheitstreppenraum ausgelegt, weil entsprechend der Stay-put-Regel die Nutzung des Treppenraums als Fluchtweg im Brandfall nicht vorgesehen war. Die Londoner Feuerwehr hatte nach dem tödlichen Großbrand im Lakanal House dem Betreiber des Grenfell Tower auferlegt, die Brandsicherheit auch im Treppenhaus zu verbessern.[32]

Der allgemein nutzbare Aufzug besaß eine Feuerwehrschaltung, die sich aber nicht aktivieren ließ.[inq1 3] Es gab kein hausinternes Alarm- oder Lautsprechersystem, mit dem die Feuerwehr die Bewohner hätte informieren oder zum Verlassen des Hauses auffordern können.

Seit der Sanierung war eine Entrauchungsanlage installiert, die auf jeweils einer Etage die Luft aus den Korridoren vor den Wohnungen, außerhalb des Gebäudekerns mit dem Treppenhaus und den Aufzügen, absaugen konnte. Damit wären bei einem Wohnungsbrand sowohl die übrigen Wohnungen als auch das Treppenhaus möglichst rauchfrei gehalten worden. Diese Anlage war aber nicht für ein Feuer auf mehreren Stockwerken ausgelegt. Sie war überdies acht Tage vor dem Brand als defekt gemeldet worden. Reparaturen und regelmäßige Wartung hatten aufgrund ungeklärter Kostenübernahme nicht stattgefunden. Wenn die Entrauchungsanlage am Tag des Brandes wie vorgesehen funktioniert hätte, hätte sie bei unsachgemäßer Bedienung Rauch aus den brennenden Wohnungen in die Korridore ziehen und so zur weiteren Verrauchung der Fluchtwege beitragen können.[33][inq1 4]

Wiederholt wurde von der Grenfell Action Group darauf hingewiesen, dass Flucht- und Rettungswege nicht freigehalten würden. Als Beispiele gaben sie mehrfach parkende Autos in Feuerwehrzufahrten an und wiesen auch auf Sperrmüll hin, der im Eingangsbereich des Hauses von der Hausverwaltung stillschweigend geduldet wurde. Dies geschah nicht nur unter dem Aspekt der unnötigen Brandlasten, sondern auch mit Verweis darauf, dass das Gebäude nur einen Ein- und Ausgang aufweist.[34]

Großbrand vom 14. Juni 2017

Hergang

Am 14. Juni 2017 brach in dem Gebäude ein Feuer aus. Ein defekter Kühlschrank in Wohnung 16 im 4. Stock setzte die Küche in Brand.[35] Um 0:54 Uhr Ortszeit wurde die London Fire Brigade alarmiert; sechs Minuten später trafen erste Feuerwehreinheiten am Grenfell Tower ein.[36][37] Sie konnten laut BBC-Recherchen den vom Kühlschrank ausgehenden Wohnungsbrand löschen. Das Feuer hatte jedoch bereits durch die Fensteröffnung auf die Fassadenverkleidung übergegriffen und entwickelte sich zum Großbrand.[38]

Die Fassadenverkleidung brannte oberhalb des Brandherdes auf der östlichen Gebäudeseite in der ersten halben Stunde zunächst senkrecht bis zur Dachkante empor. Im Laufe der folgenden drei Stunden breitete sich das Feuer V-förmig horizontal über alle vier Fassaden des Gebäudes aus. Die Fenster waren in die neue Fassade eingeklebt, die Verbindungsstellen hielten dem Feuer nicht stand. Außerdem standen aufgrund der Sommerhitze viele Fenster und Türen offen. Flammen und Rauch drangen so gleichzeitig an vielen Stellen in die Wohnungen ein.[39][40] Zur Bekämpfung des Brandes waren schließlich über 200 Feuerwehrleute mit 40 Löschfahrzeugen sowie 100 Sanitäter im Einsatz. Die Feuerwehr konnte 65 Personen aus dem Haus retten.[41][42][43]

Im Gebäudeinneren brannte das Feuer an vielen Stellen mehr als 24 Stunden lang. Zerstörte Gasleitungen erschwerten die Löscharbeiten. Am 15. Juni um 1:14 Uhr Ortszeit, also nach etwas mehr als 24 Stunden Dauer, war der Brand laut Feuerwehr unter Kontrolle. Feuerwehr und Polizei begannen daraufhin eine erste Suche nach Vermissten über alle Stockwerke, die wegen möglicher Einsturzgefahr und noch aufflammenden Brandnestern vorübergehend unterbrochen wurde.[44]

Nach vorläufiger Schätzung der Polizei vom 20. Juni starben 79 Menschen;[45] mindestens 79 Verletzte wurden in Krankenhäusern behandelt.[46] Eine zunächst befürchtete Einsturzgefahr des Gebäudes wurde von einem Experten an Ort und Stelle ausgeschlossen.[47] Die Feuerwehr schätzte, dass die Bergung der Opfer mehrere Wochen dauern könne.[48] In den Morgenstunden nach dem Brand war die Situation um den Tower herum vollkommen chaotisch und Überlebende auf sich und Mithilfe ihrer eigenen Gemeinde und Freiwilligen aus ganz London gestellt, die aufgrund des Feuers herbeigeeilt waren. Es blieb lange unklar, wer überlebt hatte und wer nicht.[49]

Einsatzverlauf

Die durch die Premierministerin eingesetzte Untersuchungskommission „Grenfell Tower Inquiry“ veröffentlichte einen Bericht der Brandschutzexpertin Dr. Lane[inq1 1] verbunden mit Anhörungsprotokollen von Beschäftigten der London Fire Brigade (LFB), aus denen sich die nachfolgend ausgeführte Zeitleiste ableiten lässt.[inq1 5][inq1 6][inq1 7]

Um 00:55 Uhr am Morgen des 14. Juni 2017 ging in der LFB-Leitstelle der erste Notruf ein. Es handelte sich um eine Reserve-Leitstelle im Stadtteil Stratford. Dass die Räumlichkeiten der eigentlichen Leitstelle in Merton in jener Nacht nicht zur Verfügung standen, sollte sich als Problem erweisen: In Stratford stand kein Monitor zur Verfügung, auf dem die Leitstellenbesatzung im Einsatzverlauf die Bilder der Nachrichtenagenturen oder eines Hubschraubers hätte betrachten können.

Der Anrufer meldete einen brennenden Kühlschrank in seiner Wohnung Nummer 16 im 4. Stockwerk des Grenfell Tower.

Der Einsatz wurde eröffnet, wobei die Einsatzleitsoftware Vision 4DS nicht auf Anhieb erkannte, dass es sich bei dem Objekt um ein Hochhaus handelte. Entsprechend wurden zunächst drei Löschfahrzeuge wie für einen gewöhnlichen Wohnungsbrand alarmiert. Ein Leitstellenmitarbeiter korrigierte dies in den folgenden Minuten von Hand, so dass nun die für ein Hochhaus vordefinierte Anzahl von vier Löschfahrzeugen ausrückte.[inq1 5] Der Gruppenführer (Watch Manager) auf dem ersten Löschfahrzeug, G271 von der Wache North Kensington, wurde per Funk über den erhöhten Kräfteeinsatz in Kenntnis gesetzt.

Um 00:57 Uhr übermittelte die Firma Tunstall Response, bei der die Brandmeldeanlage des Grenfell Tower aufgeschaltet war, eine Alarmauslösung an die Leitstelle.

Um 00:59 Uhr trafen die beiden Löschfahrzeuge der Wache North Kensington ein.[50] Der Gruppenführer übernahm die Einsatzleitung. Er ließ die Wasserversorgung von einem Hydranten zum Löschfahrzeug G271 und von dort zur trockenen Steigleitung des Hochhauses aufbauen. Feuerwehrangehörige betraten das Gebäude, richteten ein Depot im 2. Obergeschoss ein und erkundeten die Lage.

Gegen 01:06 Uhr trat das Feuer aus dem Küchenfenster aus und griff außen auf die Fassade über. Zur gleichen Zeit war die Wasserversorgung fertig aufgebaut, so dass der erste Atemschutztrupp zur Brandbekämpfung im Innenangriff vorgehen konnte. Er brach um 01:07 Uhr die Tür zur Brandwohnung auf und begann mithilfe einer Wärmebildkamera die Suche nach dem Brandherd.

Um 01:13 Uhr ließ der Einsatzleiter per Rückmeldung Make Pumps 6, Aerials x1 vorsichtshalber Verstärkung nachfordern. Im Feuerwehrwesen des Vereinigten Königreichs definiert die Anzahl der eingesetzten Pumps, d. h. Löschfahrzeuge, das Ausmaß eines Einsatzes. Führungsfunktionen und Einsatzleitfahrzeuge werden durch die Leitstelle jeweils anhand dieser Anzahl und des Einsatztyps hinzugefügt. Verschiedene Sonderfahrzeuge, wie in diesem Fall Aerials, also Hubrettungsfahrzeuge, können ausdrücklich angefordert werden. Die Einsatzleitung hätte nach dieser Alarmstufenerhöhung an einen besser qualifizierten Zugführer (Station Manager) übergehen sollen, was sich jedoch verzögerte.

Um 01:14 Uhr leitete der erste Angriffstrupp die Brandbekämpfung in der Küche ein.

Um 01:15 nahmen zwei Feuerwehrleute von außen ein Rohr vor, um per Riegelstellung die aus dem Küchenfenster schlagenden Flammen zu kontrollieren. Ein Löscherfolg ließ sich aus verschiedenen Gründen nicht erzielen. Die beiden Feuerwehrleute gingen daraufhin als vierter Atemschutztrupp ins Gebäudeinnere.

Um 01:16 Uhr erstreckte sich der Fassadenbrand auf der Ostseite oberhalb des Küchenfensters bis zum 6. Stockwerk. Der Einsatzleiter ließ über Funk mitteilen: „Wohnblock, 20 Geschosse, 25 mal 25 Meter Grundfläche, Fünfraumwohnung im 4. Stock zu 7 Prozent in Flammen, Hochhaus-Vorgehensweise implementiert, […] Angriffmodus Oscar“. Dies blieb bis 02:42 Uhr die einzige Lagemeldung aus dem sich nun rapide zuspitzenden Einsatzgeschehen an die Leitstelle, deren Besatzung sich wegen des technisch unzureichenden Bildschirms in Stratford auch nicht auf anderem Weg selbst ein Bild vom Ausmaß machen konnte.

Die „Hochhaus-Vorgehensweise“ besagt, dass sich die Feuerwehrangehörigen auf einem sicheren Depotgeschoss unterhalb des Brandes sammeln und von dort aus zur Brandbekämpfung vorgehen. Ein Innenangriff bei Hochhausbränden ist personalintensiv und eine logistische Herausforderung, weil er unter Atemschutz und Atemschutzüberwachung erfolgen muss, langwieriges Treppensteigen erfordern kann, und alle Ausrüstung auf dem Depotgeschoss bereitgelegt und ständig ergänzt werden muss. Das offensive Vorgehen im Innenangriff wird bei der Londoner Feuerwehr als „Modus Oscar“ bezeichnet. Das Löschwasser für den Innenangriff wurde im 4. Stockwerk aus der Steigleitung entnommen.

01:19 Uhr: Make Pumps 8. Der Einsatzleiter ließ nun laufend die Alarmstufe erhöhen, um mehr Personal und Atemschutzgeräte, aber auch Werkzeuge wie Türöffnungssets zum Durchsuchen von Wohnungen, heranzuführen.

01:21 Uhr: Der erste Angriffstrupp, unterstützt von einem zweiten, meldete den Küchenbrand als gelöscht. Ein dritter Trupp war zur Erkundung im 5. und 6. Stockwerk aktiv. Der vierte Angriffstrupp wurde vorgeschickt, um einen Brand in Wohnung 26, direkt über der Ursprungswohnung, zu löschen. Eine Bewohnerin des 22. Stockwerks rief bei der Notrufzentrale an und meldete Brandgeruch. Sie war die erste seit dem ursprünglichen Notruf, die aus dem Gebäudeinneren anrief. Ihr wurde geraten, in der Wohnung zu bleiben.

01:23 Uhr: Zu diesem Zeitpunkt hatte der bauliche Brandschutz versagt und war die Stay-put-Regel gescheitert. Brandrauch hatte sich im Gebäude ausgebreitet. Einzelne Bewohner bis hinauf zum 10. Stockwerk hatten aus eigener Initiative ihre verqualmten Wohnungen verlassen. Sämtliche Bewohner hätten zum sofortigen Verlassen des Hauses aufgefordert werden müssen. Dem nach eigener Aussage überforderten Einsatzleiter fehlten jedoch wichtige Informationen und der Gesamtüberblick über die Lage, um einen solchen Strategiewechsel zu veranlassen.

01:24 Uhr: Make Pumps 10

01:28 Uhr: Make Pumps 15, Make Aerials x2, Personen eingeschlossen.

01:29 Uhr: Make Pumps 20, Make FRUs x2. Die Fire Rescue Units (FRU) sind Rüst- und Gerätewagen, die u. a. mit Langzeitatemschutzgeräten und Material zur Rettung aus Höhen und Tiefen beladen sind. Ihre Besatzungen sind für besondere Aufgaben ausgebildet. Der Einsatzleiter hatte feststellen müssen, dass ihm die Lage entglitten war, und hoffte, die Höhenretter von außen zum Löschen einsetzen zu können.[sic][inq1 6]

Eine Welle von Notrufen der betroffenen Bewohner hatte eingesetzt, das Feuer sich entlang der Ostfassade vertikal zum Dach vorgefressen. Viele Bewohner ersuchten um Rat, wie sie sich in Sicherheit bringen oder vor dem Rauch schützen könnten. Anrufe, die in Stratford aufgrund ihrer schieren Menge nicht angenommen werden konnten, liefen bald in weiteren Notrufzentralen auf.

01:31 Uhr: Make Pumps 25. Ungefähr zu diesem Zeitpunkt hatte sich die Drehleiter A213 von der Wache Paddington als erstes Hubrettungsfahrzeug bis zur Ostseite des Grenfell Tower vorgearbeitet. Einmal in Stellung gebracht, reichte der Wasserdruck jedoch nicht aus, um nennenswerten Erfolg bei der Bekämpfung des ausgedehnten Fassadenbrandes zu erzielen. Wegen der brennend herabfallenden Fassadenteile musste sich die Drehleiter schließlich zurückziehen und wurde durch einen tragbaren Monitor ersetzt, der bis zum 10. Stock wirkte und erfolgreich diesen Bereich der Fassade schützte.[51]

01:36 Uhr: Zusätzlich zu Stratford nahm nun North West Fire Control, zuständig für die Grafschaften Cumbria, Lancashire, Greater Manchester und Cheshire, gemäß vertraglicher Vereinbarung Notrufe entgegen. British Telecom stellte unaufgefordert Anrufe zu den Notrufzentralen der an London angrenzenden Grafschaften Essex und Kent durch, sowie zur Polizei in London und Surrey.[50]

Gegen 01:40 Uhr traf ein Zugführer (Station Manager) ein, übernahm aber nicht die Einsatzleitung, sondern einvernehmlich den Einsatzabschnitt Menschenrettung und den Abgleich der Notrufe mit der Leitstelle. Ab 01:43 Uhr war der Einsatzleitwagen CU8 in Betrieb und führte alle Meldungen über eingeschlossene Personen zusammen. Erst gegen 01:50 Uhr wurde der Einsatzleiter zunächst durch einen weiteren Zugführer (Station Manager), bald darauf durch einen Verbandsführer (Group Manager) abgelöst.[50][52]

02:04 Uhr: Make Pumps 40. Zu dieser Zeit ging der bereits 14. Atemschutztrupp im Inneren vor.[50]

Um 02:06 Uhr wurde die Großschadenslage ausgerufen. In Räumlichkeiten der Leitstelle Stratford richtete sich der Führungsstab ein.

02:11 Uhr: Der Direktionsdienst (Deputy Assistant Commissioner) E6 übernahm die Einsatzleitung.[inq1 1]

02:12 Uhr: Make FRUs x6, gefolgt von 02:16 Uhr: Make FRUs x10 und 02:32 Uhr: Make Aerials x4.

Um 02:42 Uhr ging in der Leitstelle die zweite Lagemeldung von der Einsatzstelle ein: „Vollbrand auf allen Stockwerken, 58 Erwachsene und 16 Kinder betroffen.“

Um 02:47 Uhr entschieden der Einsatzleiter und die (bis dahin über das wahre Ausmaß im Unklaren gelassene) Leitstelle anhand dieses Lagebilds, die Stay-put-Regel aufzugeben.[inq1 5] Alle Anrufenden wurden fortan aufgefordert, nicht mehr in den Wohnungen auf Rettung zu warten, sondern sich selbst in Sicherheit zu bringen. Von den 107 zu diesem Zeitpunkt im Gebäude eingeschlossenen Bewohnern konnten es nur noch 36 verlassen.

Um 02:50 Uhr traf die Leiterin der Wehr (Commissioner for Fire and Emergency Planning) Dany Cotton ein. Mit einigem Aufwand wurde ein Baustatiker ausfindig gemacht und dringlich zur Einsatzstelle befördert, um die Stabilität des Hochhauses zu bewerten.

Um 04:28 Uhr wurden 20 Löschfahrzeuge aus der ganzen Stadt zur Ablösung der erschöpften Kräfte alarmiert.

Ab ungefähr 05:30 Uhr verebbten die Notrufe aus dem Gebäude selbst, nur noch Angehörige und sonstige Personen riefen an. Um 08:05 Uhr wurde die letzte Person lebend aus dem Gebäude gerettet.[50]

Entwicklung der Opferzahlen

Insgesamt forderte der Brand nach offiziellen Angaben 72 Menschenleben.[6] Da zuvor die Personenanzahl im Gebäude zur Brandzeit nicht bekannt war, stützten sich die Veröffentlichungen der Polizei zur Zahl der Todesopfer auf die Zahl der aufgefundenen Toten und der in den Krankenhäusern verstorbenen Menschen, später auch auf die Zahl der bekannten Vermissten. Zusammen mit anfänglichen Verzögerungen der Sucharbeiten wegen des andauernden Brandes und Sicherheitsrisiken im ausgebrannten Gebäude führte dies zunächst zu relativ niedrigen veröffentlichten Opferzahlen. In der Bevölkerung kamen Spekulationen auf, dass wesentlich höhere „wahre“ Zahlen absichtlich zurückgehalten würden.[53][54]

Ein Web-Artikel der BBC News schilderte zusätzliche Probleme dabei, eine genaue Vermissten- beziehungsweise Opferzahl zu nennen: Zwar wurde das gesamte Gebäude schon durchsucht, aber eine Zahl an Opfern ist bis zur Unkenntlichkeit verbrannt. Dazu sind einige Datenquellen wie die Mieterliste, die Informationen des Casualty Bureau und das Wählerregister zwar relativ robust, jedoch erfassen diese je nach dem keine Kinder, Ausländer, Besucher oder Fälle von illegaler Untervermietung. (Im Vereinigten Königreich existiert keine zu Deutschland vergleichbare Pflicht, den Wohnsitzwechsel zu melden.) Ebenso wurden Videoaufzeichnungen und die eingegangenen Feuernotrufe ausgewertet, die überlebenden Bewohner wurden danach gefragt, welche anderen Bewohner sie kannten, und wer sich zum Zeitpunkt des Brandes im Gebäude aufhielt. Letztlich fragte die Londoner Polizei auch Kindertagesstätten, Sozialarbeiter, Botschaften und sogar Fastfood-Lieferanten nach nützlichen Informationen über die Anzahl und Identität von Bewohnern.[55]

Folgende Zahlen wurden im Laufe der Zeit von der Polizei bekanntgegeben:

DatumZahlBedeutung
14. Juni 2017mindestens 6Bestätigte Zahl von Toten; „diese Zahl wird wahrscheinlich noch ansteigen“.[56]
14. Juni 2017mindestens 12Bestätigte Zahl von Toten, „wir glauben dass diese Zahl weiter steigen wird“.[57]
15. Juni 2017mindestens 17Bestätigte Zahl von Toten, „wird voraussichtlich in den folgenden Tagen weiter ansteigen“.[58]
16. Juni 2017mindestens 30Bestätigte Zahl von Toten, kann weiter ansteigen.[59]
17. Juni 2017mindestens 58Die Pressemeldung der Polizei ließ Spielraum für Interpretationen; sie wurde wahlweise als Zahl der vermissten und wahrscheinlich gestorbenen Menschen verstanden, oder als eine Gesamtschätzung einschließlich der bereits bestätigten 30 Todesfälle. Nach Zusatzinformationen der BBC wurde zu diesem Zeitpunkt mit bis zu 70 Toten gerechnet.[60][61][62]
19. Juni 201779Geschätzte Gesamtzahl der Todesfälle; man erwarte keinen großen Anstieg mehr.[45] Manche Medien meldeten es als „bis zu 79“[63] oder „mindestens 79“.[64]
28. Juni 2017mindestens 80Die Opferzahl basiert auf der Zahl der gefundenen Leichen und einer geschätzten Bewohnerzahl der 23 Wohnungen, von denen keine Überlebenden bekannt sind. Hinzu kommen bestätigte Vermisste; denn in 106 anderen Wohnungen gab es mindestens einen Überlebenden, der über vermisste Mitbewohner Auskunft geben konnte.[2]
5. Juli 2017mindestens 80 / bislang 87 Überreste gefunden21 Todesopfer wurden formell identifiziert. Von 23 der 129 Wohnungen sind nach wie vor keine überlebenden Bewohner bekannt. Da die Zuordnung der Funde noch im Gange ist, kann aus den 87 Überresten nicht mit Gewissheit auf 87 Opfer geschlossen werden. Nach Polizeiangaben wurden auch Anthropologen zugezogen, damit bei der Durchsuchung der rund 15,5 Tonnen Schutt pro Stockwerk keine menschlichen Überreste übersehen werden.[65]
19. Juli 2017mindestens 80Bislang wurden 39 Tote formell identifiziert. Die Sucharbeiten werden voraussichtlich erst nächstes Jahr abgeschlossen sein. Die Behörden werden von Experten, welche nach den Terroranschlägen vom 11. September menschliche Überreste identifizierten, unterstützt.[66]
19. September 2017möglicherweise unter 80Zu diesem Zeitpunkt wurden 60 der geschätzten 80 Todesopfer formell identifiziert.[67]

Am 19. Juni erklärte ein Vertreter der Londoner Polizei New Scotland Yard, wegen der Intensität der Flammen sei es sehr wahrscheinlich, dass einige Opfer nie identifiziert werden können.[68] Laut einer weiteren Erklärung von Ende Juni könnten die Identifizierungsarbeiten bis zum Jahresende oder darüber hinaus andauern.[1]

Folgen des Großbrands

Schnell wurde Kritik gegenüber den Behörden laut, dass die Warnungen der Grenfell Action Group ignoriert worden seien.[69]

Unmittelbare Reaktionen

Das Unglück hatte sich fünf Tage nach einer Wahl zum britischen Unterhaus ereignet. Premierministerin Theresa May war seit der Wahl großer Kritik ausgesetzt.[70] Der Abgeordnete John McDonnell der konkurrierenden Labour Party rief am Tag nach dem Großbrand zu Massenprotesten gegen die angeschlagene Premierministerin auf; innerhalb von zwei Wochen wollte er in London eine Million Demonstranten mobilisieren. Das Ziel waren Neuwahlen, bei denen sich Labour einen Sieg ausrechnete.[71]

Ein signifikanter Teil der Hilfe und Betreuung in North Kensington nach dem Desaster kam aus der eigenen Gemeinde, was wiederum große Kritik entgegen den staatlichen und lokalen Behörden aufkommen ließ.[72]

In den nachfolgenden Tagen kam es zu Protesten gegen die Regierung, insbesondere gegen May, da sie erst verspätet Kontakt zu den Opfern gesucht habe, während diese bereits zuvor von Oppositionsführer Jeremy Corbyn, Londons Bürgermeister Sadiq Khan, Prinz William und Königin Elizabeth II. besucht worden waren. Am Freitag, den 16. Juni, drangen Demonstranten in das Bezirksrathaus von Kensington ein. Polizei und Rettungskräfte verhinderten das Vordringen in die oberen Stockwerke. Danach verlagerten sich die Proteste an den Brandort. Demonstranten zeigten Banner und Plakate mit Parolen wie „Gerechtigkeit für Grenfell! Wir fordern die Wahrheit“, „Werft die Tories raus!“ und „Trotzt der Tory-Herrschaft“. Am frühen Abend zogen Demonstranten mit Rufen wie „May muss gehen!“ und „Keine Gerechtigkeit, kein Frieden“ im Zentrum von London durch Whitehall in Richtung Downing Street und dann weiter zum Broadcasting House in der Oxford Street. Zuvor hatte May am Vormittag Opfer in einem örtlichen Krankenhaus besucht und war am späten Nachmittag mit Opfern und Verwandten in einer Kirche in der Nachbarschaft des ausgebrannten Hochhauses zusammengetroffen. May sagte beim Besuch fünf Millionen Pfund (5,7 Millionen Euro) an Hilfen für die Opfer zu. Ferner versicherte sie den Bewohnern vom Grenfell Tower, in der Nähe ihres bisherigen Wohnorts neue Wohnungen zu bekommen. Auch die Bezirksverwaltung von Kensington und Chelsea sagte am Abend, dass obdachlos gewordene Bewohner innerhalb des Stadtteils umgesiedelt würden. Bei Mays Besuch kam es zu Protesten, so dass sie von der Polizei vor wütenden Demonstranten in Sicherheit gebracht wurde.[73][74]

Am 17. Juni bei Trooping the Colour, der alljährlichen Militärparade zu Ehren des Geburtstages der Königin, gab es eine Schweigeminute.[75]

Londons Bürgermeister Sadiq Khan brachte den Abriss veralteter Hochhäuser ins Gespräch. Dies könne bei Hochhäusern aus den 1960er und -70er Jahren aus Sicherheitsgründen nötig werden, schrieb Khan in einem Beitrag für die Sonntagszeitung The Observer. In der Wiederaufbauphase nach dem Krieg seien viele Hochhäuser entstanden, die heutigen Standards nicht mehr entsprächen.[76]

Nach Aussage der britischen Behörde Department for Communities and Local Government entspricht eine Verkleidung aus Aluminium-Polyethylen-Verbundplatten nicht der Building Regulations Guidance. Dieses Material sollte nicht bei über 18 Meter hohen Gebäuden verwendet werden. Schatzkanzler Philip Hammond erklärte aufgrund dieser Angaben, dass dieses Material im Vereinigten Königreich verboten sei und dass nun untersucht werde, ob im Fall des Grenfell Tower gegen Bauvorschriften verstoßen worden sei.[77][78]

Am 21. Juni 2017 veröffentlichte der britische Musikproduzent Simon Cowell eine Version des von Simon & Garfunkel stammenden Liedes Bridge over Troubled Water. An der Neuaufnahme, die unter dem Namen Artists for Grenfell erschien, waren über 50 Künstler beteiligt. Die Erlöse sollen über die Hilfsorganisation The London Community Foundation den Opfern der Brandkatastrophe zugutekommen. Cowell selbst hat nach eigenen Angaben bereits 100.000 Pfund für diesen Zweck gespendet.[79][80]

Auswirkungen auf Gebäude in England

Anderthalb Wochen nach der Grenfell-Brandkatastrophe wurden die Bewohner von fünf anderen Hochhäusern im Norden Londons wegen Brandgefahr evakuiert und in Notunterkünften und Hotels untergebracht. Die Feuerwehr hatte dort erhebliche Sicherheitsmängel festgestellt: unter anderem brennbare Fassaden, Fehler bei der Isolierung von Gasleitungen und das Fehlen von Brandschutztüren.[81] In den fünf Hochhäusern der Großwohnsiedlung Chalcots Estate im Stadtviertel Swiss Cottage in Camden waren rund 800 Haushalte bzw. 4000 Bewohner des Burnham-, Bray-, Blashford-, Taplow- und Dorney Tower betroffen. In den folgenden Wochen sollte die Fassadenverkleidung der Häuser entfernt werden.[82] Der Grund seien „dringende Arbeiten zur Brandsicherheit“, teilten die Behörden am 23. Juni 2017 mit. Die Entscheidung sei nach einer Inspektion der Feuerwehr getroffen worden. Die Feuerwehrleute sagten demnach, sie könnten die Sicherheit der Bewohner nicht garantieren.[83] Eines der fünf Gebäude, der Blashford Tower, wurde nachträglich jedoch als sicher eingestuft, es war von 2006 bis 2009 von demselben Unternehmen saniert worden wie der Grenfell Tower.

Die Grenfell-Brandkatastrophe entwickelte sich landesweit zu einem Skandal.[84] Nachdem das Kabinett von Theresa May angekündigt hatte, landesweit insgesamt 600 Hochhäuser mit ähnlichen Fassadenkonstruktionen wie beim Grenfell Tower überprüfen zu lassen, wurden bei den ersten untersuchten 75 Häusern ohne Ausnahme Brandschutzmängel festgestellt. 60 Hochhäuser in 25 Gemeinden wurden nach Prüfungen der Fassadenverkleidung als brandgefährdet eingestuft; betroffen waren unter anderem Häuser in den Städten Manchester, Portsmouth und Plymouth.[85][86]

Die Nachrüstung der Londoner Hochhäuser mit besserem Brandschutz und Sprinkleranlagen soll mehr als 400 Millionen Pfund kosten.[87] Alle Sanierungsbestrebungen beziehen sich auf aluminiumkaschierte Verbundplatten, die zahlreichen Fassadenverkleidungen mit HPL-Platten oder sonstigen brennbaren Materialien sind davon unberührt.[28]

Die Verwendung brennbarer Bauteile bei Neubauten und Fassadenarbeiten an Wohngebäuden mit einer Höhe von über 18 Metern wurde Ende 2018 gesetzlich verboten.[88]

Auswirkungen in anderen Ländern

Am 27. Juni 2017 wurde in Wuppertal ein elfstöckiges Wohnhaus im Wohnquartier Hilgershöhe im Stadtteil Barmen von Feuerwehr, Polizei und Ordnungsamt evakuiert und der Zutritt ins Gebäude auch tagsüber verboten. Nach Beseitigung brennbarer Fassadenelemente im Bereich der Fluchtwege wurde das Haus am 26. Juli 2017 wieder freigegeben.[89]

Feuerwehr und Verwaltung der Stadt Dortmund stellten bei einer Begehung schwere Brandschutzmängel am Wohnkomplex Hannibal im Stadtteil Dorstfeld fest, die aber nicht mit der Fassade in Zusammenhang standen. Das Gebäude mit seinen mehr als 750 Bewohnern und über 400 Wohneinheiten wurde am 21. September 2017 geräumt und bleibt auch im Jahr 2021 weiterhin unbewohnbar.[90]

In Frankreich soll ein neues Gesetz bei Gebäuden, die mehr als 28 Meter hoch sind, brennbare Fassadenbestandteile verbieten. Bereits jetzt müssen die Fassaden unbrennbar sein, wenn das Gebäude 50 Meter oder höher ist.[91]

Umgang mit dem Geschehen

In Planen gehüllt der Grenfell Tower im Juni 2018 mit dem von Grenfell United entworfenen Schriftzug „Grenfell forever in our hearts“ (dt. Grenfell – Für immer in unseren Herzen)

In den Wochen nach dem Unglück entwickelte sich die Tradition eines monatlichen Schweigemarsches an jedem Abend des 14. eines jeden Monats.[92][93]

Sechs Monate nach dem Brand erklärten viele in der Gemeinde, immer noch auf sich allein gestellt zu sein.[94]

Die Ruine wurde vor dem ersten Jahrestag des Großbrands auf voller Höhe in ein Gerüst gehüllt, das zwei Lagen wetterfeste Planen trägt. Damit ist sie den Blicken entzogen und etwaige herabfallende Teile werden aufgefangen. Die äußere Hülle wird jährlich ersetzt.[95]

Zum ersten Jahrestag wurde mit mehreren Gedenkveranstaltungen an die Opfer erinnert.[96][97] Kurz davor gab es offene Anklagen aus der Gemeinde bezüglich angeblicher Falschdarstellungen in den Medien, insbesondere bezüglich eines langen Berichtes in der London Review of Books von Andrew O’Hagan.[98]

Grenfell United, eine Interessengruppe, die sich aus den Familien der Opfer und Überlebenden zusammensetzt, projizierte zum zweiten Jahrestag Schriftzüge auf Gebäude in Salford, Newcastle und London, die auf Missstände beim Brandschutz hinweisen. In Salford projizierte man die Aufschrift „2 Jahre nach Grenfell sind 246 Wohnungen in diesem Gebäude immer noch mit gefährlichen Dämmplatten verkleidet.“[99]

Auf Initiative der Premierministerin wurde die Grenfell Tower Memorial Commission eingerichtet, besetzt mit Vertreterinnen und Vertretern der Anwohner, Hinterbliebenen und Überlebenden. Sie soll über die Weiternutzung des Geländes und eine geplante Gedenkstätte entscheiden.[95]

Geplanter Abriss

Das Grundstück, auf dem der Grenfell Tower steht, ist zum 15. Juli 2019 in das Eigentum der Regierung des Vereinigten Königreichs übergegangen. Die Ruine wird durch das Ministerium für Wohnen und Regionalverwaltung betreut. Der Stadtbezirk Kensington und Chelsea hat keinen Einfluss auf die weitere Nutzung.[95] 2021 gab die Regierung des UK bekannt, dass das Gebäude vom Jahr 2022 an rückgebaut werden soll. Dagegen gab es Bedenken, u. a. wegen der Gefahr der Asbestverseuchung und um weitere Untersuchungen zum Brand zu ermöglichen;[100] ein Zeitpunkt zur Aufnahme der Arbeiten wurde bisher (April 2023) nicht bekanntgegeben. Die Regierung unterrichtet von Zeit zu Zeit zum Stand der Dinge.[101]

Aufarbeitung und Konsequenzen

Erste Betrachtungen

Ausgangspunkt war nach offiziellen Feststellungen eine im vierten Obergeschoss aus ungeklärten Gründen in Brand geratene Kühl-Gefrierkombination des von Indesit zwischen März 2006 und Juli 2009 produzierten Typs Hotpoint FF175BP. Die Marke Hotpoint wird auch im deutschsprachigen Raum vertrieben, die Rechte für Europa liegen bei der Whirlpool Corporation. Dieser Brandherd kann als gesicherter Ausgangspunkt gelten, da er von den zuerst eintreffenden Feuerwehreinheiten lokal beherrscht wurde. Die Flammen griffen durch die Fensteröffnung auf die Gebäudefassade über.

In der öffentlichen Diskussion über die Ursache der raschen Ausbreitung des Brandes über viele Stockwerke hinweg wird die Fassadenverkleidung thematisiert. In verschiedenen Medien wird auf Grund der Bildberichte der brennenden Fassaden vermutet, dass die vorgehängte hinterlüftete Fassade aus Aluminium-Verbundplatten den Brand der dahinterliegenden aluminiumkaschierten Dämmplatten durch den Einschluss der Wärmeenergie förderte und durch einen Kamineffekt zur schnellen Ausbreitung des Feuers beitrug.[15][102][103][104][105] Experten, unter anderem der Leiter der Frankfurter Feuerwehr, geben an, dass die brennbare Fassade ein wesentlicher Grund der Katastrophe war.[106]

Es wird außerdem vermutet, dass bei dem Brand giftige Gase wie Kohlenmonoxid und Blausäure entstanden, die zu der verhältnismäßig hohen Zahl der Todesopfer beitrugen.[107][108][109]

Verwaltung des Grenfell Tower

Der Vorsitzende des zuständigen Gemeinderats und der Chef der kommunalen Hausverwaltung KCTMO traten am 30. Juni 2017 in London zurück.[110] Britische Medien hatten zuvor Dokumente veröffentlicht, denen zufolge zunächst weniger leicht entflammbare Fassadenteile für die Sanierung des Hochhauses vorgesehen waren. Um Geld zu sparen, habe sich die Verwaltung aber für eine billigere Variante entschieden.[111] Die Kommunalverwaltung entzog der KCTMO im September 2017 die Kontrolle über die Lancaster West-Siedlung sowie über alle anderen Sozialwohnungsobjekte im Stadtbezirk.[112]

Strafrechtliche Aufarbeitung

Die erste Phase der strafrechtlichen Aufarbeitung liegt bei Scotland Yard, wo eine 250-köpfige Sonderkommission gebildet wurde. Im besonderen Fokus stehen die Planung und Realisierung der dem Brand vorausgegangenen Sanierungsmaßnahmen, wobei auch Ermittlungen in Richtung fahrlässiger Tötung nicht ausgeschlossen werden.[113]

Grenfell Tower Inquiry

Unter Vorsitz des pensionierten Richters Martin Moore-Bick wurden in umfangreichen Befragungen die Hintergründe des Geschehens untersucht.

Am 30. Oktober 2019 erschien der Bericht zum ersten Teil der Grenfell-Untersuchung. Der Vorsitzende kritisiert darin die zu späte Evakuierung durch die Londoner Feuerwehr.[114]

Der zweite Teil der Untersuchung begann im Januar 2020 und sollte 18 Monate andauern.[112] Angesichts der COVID-19-Pandemie im Vereinigten Königreich wurde die Untersuchung im März unterbrochen und im Juli als Videokonferenz fortgeführt.

Der zweite Teil konzentriert sich auf die Vorgänge, die zur Auswahl und Verwendung der brennbaren Fassadenelemente führten.

London Fire Brigade

Die Behördenleiterin der Londoner Feuerwehr, Dany Cotton, ging nach Veröffentlichung des ersten Berichts zur Grenfell-Untersuchung und wiederholter Kritik in den Ruhestand. Nachfolger im Amt wurde Anfang 2020 ihr bisheriger Stellvertreter Andy Roe, der als Einsatzleiter am Grenfell Tower um 02:47 Uhr den Befehl zum Widerrufen der Stay-put-Regel gegeben hatte.

Das behörderninterne Grenfell Tower Investigation and Review Team zur Organisationsentwicklung veröffentlichte im Oktober 2019 einen Sachstandsbericht:[115]

  • Einsatzleiter und Führungskräfte werden geschult und ihr Wissen zertifiziert, die Leitstelle wurde umorganisiert und die Besatzungen im Umgang mit eingeschlossenen Anrufenden besser ausgebildet. Die interne Wissensverfügbarkeit wird verbessert und eine Brandschau von besonders gefährdeten Objekten durchgeführt.
  • Es wurden Fluchthauben für die Menschenrettung in verqualmten Räumen beschafft, Drohnen zur Lageerkundung und Detektoren, um die Stabilität von Gebäuden zu überwachen.
  • Der erste Abmarsch zu jedem gemeldeten Brand in einem Hochhaus wurde bereits 2017 auf fünf Löschfahrzeuge und ein Hubrettungsfahrzeug erhöht. Bei einem bestätigten Brand sowie der Meldung eines Fassadenbrands werden zehn Löschfahrzeuge und ein Hubrettungsfahrzeug entsandt.

Im Rahmen der turnusgemäßen Flottenerneuerung werden in den Jahren 2020 und 2021 zwölf Drehleiterfahrzeuge mit einer Arbeitshöhe von 32 Metern sowie erstmals drei mit einer Höhe von 64 Metern in Dienst gestellt.[116][117] Zwei der 64-Meter-Fahrzeuge wurden für 2,5 Millionen Pfund von der gemeinnützigen Masonic Charitable Foundation der Londoner Freimaurer-Großloge Metropolitan Grand Lodge gestiftet.[118]

Versicherungen

Der Brand führte auch zu einer Neubewertung des Risikos durch die Versicherer. So stiegen die Prämien in einigen Fällen um 600 %. Nach Angaben der Association of British Insurers (ABI) vertrauen die Versicherer auch den im Labor gewonnenen Daten zu den Klassen zum Brandverhalten von Baumaterialien nicht mehr.[119]

Ähnliche Vorfälle

  • Großbrand im Lakanal House in Camberwell mit sechs Toten (2009). Im Laufe der Untersuchung wurde das vierzehngeschossige Gebäude als eines identifiziert, bei dem sich ein Wohnungsbrand leicht auf das gesamte Gebäude ausbreiten konnte. Die Fassadenverkleidung war binnen fünf Minuten durchgebrannt, die dafür verantwortlich zu machende vorherige mangelhafte Sanierung bei Kontrollen nicht aufgefallen. Unabhängig davon hatte im Jahr 1999 die Stadtbezirksverwaltung Southwarks zunächst den Abriss beschlossen, die Entscheidung war jedoch wieder rückgängig gemacht worden.[28]

Brandunglücke weltweit, bei denen vorgehängte Fassaden mit Aluminium-Polyethylen-Verbundplatten eine Rolle spielten:

Siehe auch

Weblinks

Commons: Grenfell Tower – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Grenfell Tower Inquiry (englischsprachig)

Einzelnachweise

Grenfell Tower Inquiry

  • Inquiry Phase 1
  • Inquiry Phase 2

Allgemeine Nachweise