Die güldne Sonne voll Freud und Wonne

Morgenlied von Paul Gerhardt

Die güldne Sonne voll Freud und Wonne ist ein christliches Morgenlied, dessen Text Paul Gerhardt verfasste. Es hat zwölf Strophen in einer Versform, die Gerhardt darin zum ersten Mal entwickelte. Es erschien 1666 mit Melodie und Satz von Johann Georg Ebeling in einer Sammlung von Gerhardts Liedern. Im Evangelischen Gesangbuch erscheint es unter der Nummer 449. Es ist in vielen Gesangbüchern und Liederbüchern enthalten.[1] Im Mennonitischen Gesangbuch ist es in einer elfstrophigen Fassung (ohne die ursprüngliche Strophe 11) unter der Nummer 200 erschienen.

Kirchenlied im vierstimmigen Satz in einem deutsch-amerikanischen Gesangbuch (1878)

Geschichte

Der lutherische Theologe und Liederdichter Paul Gerhardt war Pfarrer an der Berliner Nikolaikirche, als er Die güldne Sonne voll Freud und Wonne schrieb. Es war vermutlich eins seiner letzten Lieder. Gerhardt griff damit zwei ältere Morgenlieder von Philipp von Zesen (Die güldene Sonne bringt Freude und Wonne von 1641) und von Matthäus Apelles von Löwenstern (Ich sehe mit Wonne, die güldene Sonne bricht wieder herein von 1644) auf.[2]

Die meisten von Gerhardts früheren Kirchenliedern waren in Johann Crügers Gesangbuch Praxis Pietatis Melica erschienen. Crüger war bis zu seinem Tod 1662 Kirchenmusiker an der Nikolaikirche, dann trat Johann Georg Ebeling seine Nachfolge an. Ebeling begann 1666, nachdem Gerhardt durch den Kurfürsten seines Amts enthoben worden war, Gerhardts Lieder mit neuer Musik zu versehen und unter dem Titel Pauli Gerhardi Geistliche Andachten in mehreren Bänden zu veröffentlichen. Die Serie umfasste 120 Lieder und wurde 1667 abgeschlossen.[3] Jedes Lied erschien mit einem Chorsatz, davon 112 mit neuen Melodien von Ebeling.[4][5] Die güldne Sonne erschien im dritten Band der Geistlichen Andachten 1666 mit Ebelings Melodie in einem vierstimmigen Satz.[6] Ebelings Überschrift für das Lied lautete Morgen-Segen.[7][8] Im selben Jahr erschien Die güldne Sonne in einer Neuauflage der Praxis Pietatis Melica mit einer Melodie von Jacob Hintze.[9] Teile des Liedes wurden im 19. Jahrhundert ins Englische übersetzt.[10][11]

Text

Gerhardts Lied ist wie eine Predigt aufgebaut,[1][12] in zwölf Strophen,[13] wie die Monate im Jahreskreis.[7] Er benutzte das Bild der Sonne als Symbol für Gottes Liebe in 25 seiner Lieder, z. B. in der 4. (im EG 3.) Strophe von Ich steh an deiner Krippen hier, in der Tradition des lutherischen Theologen Johann Arndt.[12] Das Lied betrachtet das Sonnenlicht, ohne Schatten und Leid zu vermeiden. Im Stil barocker Dichtung reiht Gerhardt oft zwei ähnliche Begriffe, z. B. „munter und fröhlich“ und „Güter und Gaben“[12] (siehe auch Hendiadyoin). Die letzte Strophe bringt einen Ausblick auf einen himmlischen Garten, „Freude die Fülle und selige Stille“, auf den die Gedanken des Verfassers gerichtet sind.[7]

Jede Strophe hat zehn Zeilen,[14] in einer Versform, die Gerhardt für dieses Lied schuf:[5]

Zeile:1–23–456–78–910   
Reimschema:aabbcddeec[14]   
Versmaß:5.5.5.5.10.5.6.5.6. 10.[6][14]

Nachfolgend der Wortlaut nach der nebenstehend abgebildeten Erstausgabe von 1666, mit dem verdeutlichten Reimschema in der ersten Strophe:

Erste Ausgabe, S. 70, sieben Strophen mit Sopran- und Alt-Stimme
Erste Ausgabe, S. 71, Tenor- und Bass-Stimme zum Text der ersten Strophe, dann die fünf letzten Strophen

1. Die güldne Sonne
voll Freud und Wonne
bringt unsern Grenzen
mit ihrem Glänzen
ein herzerquickendes, liebliches Licht.
Mein Häupt und Glieder,
die lagen darnieder;
aber nun steh ich,
bin munter und fröhlich,
schaue den Himmel mit meinem Gesicht.

2. Mein Auge schauet, was Gott gebauet
zu seinen Ehren und uns zu lehren,
wie sein Vermögen sei mächtig und groß
und wo die Frommen dann sollen hinkommen,
wann sie mit Frieden von hinnen geschieden
aus dieser Erden vergänglichem Schoß.

3. Lasset uns singen, dem Schöpfer bringen
Güter und Gaben; was wir nur haben,
alles sei Gotte zum Opfer gesetzt!
Die besten Güter sind unsre Gemüter;
dankbare Lieder sind Weihrauch und Widder,
an welchen er sich am meisten ergötzt.

4. Abend und Morgen sind seine Sorgen;
segnen und mehren, Unglück verwehren
sind seine Werke und Taten allein.
Wenn wir uns legen, so ist er zugegen;
wenn wir aufstehen, so lässt er aufgehen
über uns seiner Barmherzigkeit Schein.

5. Ich hab erhoben zu dir hoch droben
all meine Sinnen; lass mein Beginnen
ohn allen Anstoß und glücklich ergehn.
Laster und Schande, des Luzifers Bande,
Fallen und Tücke treib ferne zurücke;
lass mich auf deinen Geboten bestehn.

6. Lass mich mit Freuden ohn alles Neiden
sehen den Segen, den du wirst legen
in meines Bruders und Nähesten Haus.
Geiziges Brennen, unchristliches Rennen
nach Gut mit Sünde, das tilge geschwinde
von meinem Herzen und wirf es hinaus.

7. Menschliches Wesen, was ist’s gewesen?
In einer Stunde geht es zugrunde,
sobald das Lüftlein des Todes drein bläst.
Alles in allen muss brechen und fallen,
Himmel und Erden die müssen das werden,
was sie vor ihrer Erschöpfung gewest.

8. Alles vergehet, Gott aber stehet
ohn alles Wanken; seine Gedanken,
sein Wort und Willen hat ewigen Grund.
Sein Heil und Gnaden, die nehmen nicht Schaden,
heilen im Herzen die tödlichen Schmerzen,
halten uns zeitlich und ewig gesund.

9. Gott, meine Krone, vergib und schone,
lass meine Schulden in Gnad und Hulden
aus deinen Augen sein abgewandt.
Sonsten regiere mich, lenke und führe,
wie dir’s gefället; ich habe gestellet
alles in deine Beliebung und Hand.

10. Willst du mir geben, wormit mein Leben
ich kann ernähren, so lass mich hören
allzeit im Herzen dies heilige Wort:
Gott ist das Größte, das Schönste und Beste,
Gott ist das Süß’te und Allergewiss’te,
aus allen Schätzen der edleste Hort.

11. Willst du mich kränken, mit Galle tränken,
und soll von Plagen ich auch was tragen,
wohlan, so mach es, wie dir es beliebt.
Was gut und tüchtig, was schädlich und nichtig
meinem Gebeine, das weißt du alleine,
hast niemals keinen zu sehre betrübt.

12. Kreuz und Elende, das nimmt ein Ende;
nach Meeresbrausen und Windessausen
leuchtet der Sonnen gewünschtes Gesicht.
Freude die Fülle und selige Stille
hab ich zu warten im himmlischen Garten;
dahin sind meine Gedanken gericht’.

Übersetzung

Das Lied wurde in Auszügen mehrfach ins Englische übertragen.[10] Catherine Winkworth übersetzte die Strophen 1–4, 8, 9 und 12 als The golden sunbeams with their joyous gleams und veröffentlichte es 1855 in ihrer Sammlung Lyra Germanica. Ihre Übersetzung folgt dem Reimschema, aber nicht immer dem Versmaß.[13] Richard Massie übersetzte die Strophen 4, 8–12 als Evening and Morning und berücksichtigte das Versmaß für eine singbare Fassung, die 1857 in Mercer’s Church Psalm & Hymn Book erschien.[11]

Melodien und musikalische Bearbeitungen

Die güldene Sonne voll Freud und Wonne (Intonation und Begleitsatz, Orgel)

Ebelings Melodie folgt in ihrem Verlauf dem Text der ersten Strophe, indem sie hoch beginnt, zum Text „lagen darnieder“ abwärts führt und sich zu „Aber nun steh ich“ wieder erhebt. Der Text spielt auf die Auferstehung an. Während viele Zeilen des Liedes fünf Silben haben, wählte Ebeling den Dreiertakt der Galliarde, deren leichtfüßiger Tanzrhythmus die oft erdenschweren Gedanken des Textes musikalisch aufheben.[12]

Das Lied erscheint in Schemellis Gesangbuch mit der Melodie von Hintze, die auch im Freylinghausenschen Gesangbuch 1708 veröffentlicht wurde[15] und zu der wahrscheinlich Johann Sebastian Bach den bezifferten Bass schrieb.[6][16]Eine dritte Melodie mit vierstimmigem Satz veröffentlichte Johannes Schmidlin in seinem Gesangbuch Singendes und spielendes Vergnügen reiner Andacht, oder Geistreiche Gesänge von 1758.[17]

Literatur

  • Jürgen Henkys: Die güldne Sonne. In: Singender und gesungener Glaube: hymnologische Beiträge in neuer Folge. 1999, S. 120–133.
  • Bernhard Leube: 449 – Die güldne Sonne, voll Freud und Wonne. In: Martin Evang, Ilsabe Alpermann (Hrsg.): Liederkunde zum Evangelischen Gesangbuch. Band 29. Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2022, ISBN 978-3-525-50359-1, S. 77–85, doi:10.13109/9783666503597.78.
  • Handbuch zum evangelischen Kirchengesangbuch: Liederkunde: T. 1. Lied 1 bis 175. T. 2. Lied 176–394. Göttingen 1990, S. 432ff.

Einzelnachweise