Digitalcourage

Verein für technik- und gesellschaftspolitisch interessierte Menschen

Digitalcourage (Aussprache analog zu Zivilcourage)[4] – bis zur Umbenennung im November 2012 FoeBuD (Verein zur Förderung des öffentlichen bewegten und unbewegten Datenverkehrs e. V.) – ist ein 1987 gegründeter Verein für technik- und gesellschaftspolitisch interessierte Menschen mit Sitz in Bielefeld, der sich vor allem für die ungehinderte Kommunikation (Informationsfreiheit) und Datenschutz einsetzt. Auch andere Themen wie Politik, Umwelt und Menschenrechte sind Betätigungsfelder des gemeinnützigen Vereins.

Digitalcourage
Logo
Rechtsformeingetragener Verein
Gründung31. Mai 1987
SitzBielefeld (52° 1′ 8″ N, 8° 32′ 10,1″ O)
VorläuferVerein zur Förderung des öffentlichen bewegten und unbewegten Datenverkehrs e. V (FoeBuD) bis Nov 2012
ZweckInformationsfreiheit, Datenschutz
VorsitzRena Tangens, padeluun, Detlev Sieber[1]
GeschäftsführungNaciye Demirbilek[2]
Umsatz1.232.478 Euro (2022)
Beschäftigte22 (2023)
Mitgliederca. 3000 (2021)[3]
Websitewww.digitalcourage.de

Der Verein ist Mitglied in folgenden Organisationen: Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung, C3S, EDRi, FIfF, Kommunikation und neue Medien e. V., Software für Engagierte e. V., torservers.net und Whistleblower-Netzwerk.[5] Seit dem 1. Januar 2021 ist Digitalcourage auch Mitglied in Verbraucherzentrale Bundesverband (vzbv).[6]

Außerdem gehört Digitalcourage zur Chaos-Family,[7] und seine Mitbegründer Rena Tangens und padeluun sind Ehrenmitglieder im CCC.

Datenschutz-Kampagnen

Karikatives Windows 10-Logo anlässlich des BigBrotherAwards 2018 Kategorie Technik an Microsoft Deutschland
CC-BY-SA / Logo: Microsoft Corporation; Montage: Digitalcourage[8]
Kopierter Fingerabdruck von Wolfgang Schäuble, Stempel des Vereins
Logo der StopRFID-Kampagne

Bekannt ist Digitalcourage vor allem durch die Vergabe der deutschen „Big Brother Awards“ (Eigenschreibweise: BigBrotherAwards). Mit diesem Negativpreis werden Unternehmen, Institutionen und Einzelpersonen „ausgezeichnet“, die nach Ansicht der Jury besonders eklatant gegen die Grundsätze der informationellen Selbstbestimmung verstoßen haben.

Um mehr Bewusstsein für die Datenschutzproblematik von Rabatt- bzw. Bonusprogrammen zu schaffen, gab der Verein die sogenannte Privacy Card heraus. Diese ähnelte im Design einer regulären Payback-Karte und trug auch die Nummer einer normalen, auf den Verein angemeldeten, Karte. Dadurch konnten ohne Preisgabe persönlicher Daten Rabattpunkte für den Verein gesammelt und gleichzeitig das Profil verwässert werden. Nach einem halben Jahr, als bereits 2.000 derartige Karten in Verwendung waren, wurde seitens Payback aber die zugrundeliegende Karte gesperrt und der Vertrag gekündigt.

Seit dem Oktober 2003 beschäftigt sich Digitalcourage mit RFID und hat die StopRFID-Kampagne ins Leben gerufen. Thema dieses Projektes ist eine kritische Begleitung der Einführung der RFID-Technologie.

Der Verein ist Unterzeichner der gemeinsamen Erklärung zum Gesetzesentwurf über die Vorratsdatenspeicherung des Arbeitskreises Vorratsdatenspeicherung und Unterstützer der Demonstrationen Freiheit statt Angst.

Im März 2010 organisierte der Verein eine Verfassungsbeschwerde gegen das ELENA-Verfahren.[9] Sie reichte am 31. März 2010 die mit 22.005 Beschwerdeführern bislang zweitzahlreichste Verfassungsbeschwerde ein.[10] Mit der Beschwerde wird beantragt,

die §§ 97 und 98 des Vierten Buches Sozialgesetzbuch in der Fassung des Gesetzes über das Verfahren des elektronischen Entgeltnachweises (ELENAVerfahrensgesetz) vom 28. März 2009, BGBl. I Nr. 17, ausgegeben am 1. April 2009, für unvereinbar mit Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 und Art. 4 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 140 des Grundgesetzes in Verbindung mit Artikel 136 Abs. 3 Weimarer Rechtsverfassung[11] zu erklären.[12]

Jeweils im Dezember bietet der Verein auf seinen Seiten einen Adventskalender mit Tipps zur „digitalen Selbstverteidigung“.

Betrieb von Kommunikationsdiensten für die Allgemeinheit

Eine Gruppe teils ehrenamtlicher IT-Administratoren betreibt für den Verein einige Internet-Dienste im Interesse der Allgemeinheit. Auf der Website findet man sie unter der Überschrift Swarm Support[13]. Einige Beispiele:

Anti-Zensur-DNS-Server

Digitalcourage betreibt zwei DNS-Server. Beide Server unterstützen DNS-over-TLS und protokollieren nur im Fehlerfall. Zur Lastverteilung sollte nur der DNS-Server mit der IP-Adresse 5.9.164.112 bzw. dem Hostnamen dns3.digitalcourage.de genutzt werden (Stand Mai 2021).[14]

Ursprünglich hatte Digitalcourage bereits seit dem 17. April 2009 einen DNS-Server betrieben. Auslöser war der Entwurf des Gesetzes zur Bekämpfung der Kinderpornografie in Kommunikationsnetzen, welches die Sperrung von Webseiten in Deutschland regeln sollte.

Tor-Exit-Relay

Digitalcourage betreibt Exit-Relays im Tor-Netzwerk. Zur Begründung heißt es: „Wer seine Privatsphäre auch im Internet schützen will, surft mit Tor.“[15]

Terminfinder und Umfrage-Tool

Seit Mitte 2019 betreibt Digitalcourage eine Framadate-Instanz[16] mit dem Namen Nuudel, die auch per Onion-Site erreichbar ist,[17] keinerlei Logging betreibt/speichert und weder vom Ersteller noch von den Teilnehmern persönliche Daten/E-Mail-Adressen erfordert.[18][19][20][21]

Mikroblogging und Video

Digitalcourage betreibt im verteilten sozialen Netzwerk Fediverse eine Mastodon-[22] und eine PeerTube-Instanz.[23]

Historisch: BIONIC und das Zamir Transnational Network

Im Verein entstand 1987 die BIONIC-Mailbox. Leitsätze des Systems waren der Verzicht auf Zensur und unbeschränkter Rechte für Systembetreiber. Stattdessen war die BIONIC als Gemeinschaftsprojekt angelegt und so Geburtsstätte vieler weiterer früherer Mailbox-Netze wie z. B. das frühere Netzwerk Solinet, das vor allem von Gewerkschaftern genutzt wurde. Die BIONIC wurde so zur frühen Netzheimat vieler linker und linksalternativer Gruppierungen.

Eric Bachman, ein BIONIC-Nutzer und Mitglied des Vereines, schuf ab 1991 mit Unterstützung von padeluun und anderen das Zamir Transnational Network. Dieses war eine Reaktion auf den zu dieser Zeit begonnenen Krieg in Jugoslawien. Za mir bedeutet „Für den Frieden“. Das gleichnamige Netzwerk diente zur kostengünstigen und einfachen Vernetzung von Friedensgruppen vor Ort zur Bildung eines gewaltfreien Widerstands. Auch hier kam auf Grund der beschränkten Möglichkeiten – so standen z. B. dem System in Sarajevo für die Versorgung von 1.500 Nutzern nur drei Telefonleitungen zur Verfügung – die Zerberus-Software zum Einsatz. Nach und nach bildeten sich weitere Mailboxen z. B. in Ljubljana (Slowenien), Zagreb und Pakrac (beide Kroatien), Belgrad (Serbien), Tuzla (Bosnien und Herzegowina) und Priština (Kosovo). Diese Systeme waren über das Zamir-Netzwerk miteinander verbunden.

Auszeichnungen

2008 wurde der Verein für sein Engagement im Bereich der Bürgerrechte und des Datenschutzes, insbesondere als Ausrichter der deutschen Big Brother Awards mit einer Theodor-Heuss-Medaille ausgezeichnet.

Im April 2014 erhielt der Digitalcourage e. V. den von der Universität Passau verliehenen For..Net-Award als „Sonderpreis für Engagement auf dem Gebiet des Datenschutzes“.[24] Besonders gewürdigt wurde dabei der vom Digitalcourage e. V. entwickelte und vertriebene „PrivacyDongle“. Dabei handelt es sich um einen USB-Stick, der eine ohne Installation lauffähige Kombination aus dem Browser Firefox und der Anonymisierungssoftware Tor zur Verfügung stellt.

Im September 2014 erhielt der Digitalcourage e. V. den Taz-Panter-Preis als Preis der Jury.[25]

Die Gründungsvorsitzende Rena Tangens erhielt im Juni 2015 die Auszeichnung „Persönlichkeit des Verbraucherschutzes 2015“ der Deutschen Stiftung Verbraucherschutz.[26] Auch wurde ihr im März 2016 der Bielefelder Frauenpreis, eine Auszeichnung des Bundes der Frauenvereine und der Regionalzeitung Neue Westfälische, verliehen.[27] Im April 2018 wurde beschlossen, Rena Tangens und padeluun die Ehrennadel der Stadt Bielefeld zu verleihen. Zur Begründung hieß es, beide hätten sich mit ihrem Einsatz für Datenschutz und Menschenrechte um das Wohl und Ansehen Bielefelds verdient gemacht.[28][29]

Kritik

Stark kritisiert wurde 2011 das Abstimmungsverhalten padeluuns in der Enquete-Kommission Internet und digitale Gesellschaft, in die er als Vorsitzender des FoeBuD von der FDP berufen war. Die Abstimmung zur Empfehlung einer Festschreibung der Netzneutralität sollte verschoben werden, als eine Mehrheit für den Textentwurf bereits feststand. Die Abstimmung über den Verschiebungsantrag endete 17:16 für die Verschiebung, was padeluun zum Zünglein an der Waage machte.[30] Felix von Leitner konstatierte, padeluun habe „...verhindert, dass wir Netzneutralität kriegen“.[31] Netzpolitik stellte eine „Selbstzerfleischung der netzpolitischen Bewegung“ fest und kritisierte die aggressive Diskussion, wies jedoch darauf hin, dass es „etwas unglücklich war“,[32] dass der FoeBuD zeitgleich auch eine Spende der Telekom über 150.000 € angenommen hatte.[33] Der FoeBuD hatte die Telekom 2008 mit einem Big Brother-Award ausgezeichnet.

2019 wurde die ZEIT mit einem Big Brother Award ausgezeichnet und wies digitalcourage teils grobe Fehler in ihrer Trackinganalyse nach, mit der die Preisvergabe begründet worden war. Digitalcourage hätte technische Details „grundlegend falsch“ dargestellt und das Angebot der ZEIT abgelehnt, Einblick in die Plattform zu nehmen. Als Grund für die Ablehnung wurde angegeben, dass die Recherche bereits abgeschlossen sei.[34] Auf die Analysefehler hingewiesen, wurde von digitalcourage die Verwechslung eines Webfrontends mit der eigentlich zu prüfenden App eingestanden, zusammen mit der Ankündigung, „weiter zu beobachten“. padeluun beharrte im Wesentlichen weiter auf den in der Laudatio gemachten Vorwürfen.[35]

Anfang 2024 wurde ein Gedächtnisprotokoll einer Mitgliederversammlung im November 2023 veröffentlicht, laut dem padeluun mit Auflösung des Vereins und Entlassung aller Mitarbeitenden gedroht haben soll, falls seine nicht erfolgreiche Wahl zum zweiten Vereinsvorsitzenden nicht wiederholt werden würde.[36] padeluuns Wiederwahl wurde anschließend ohne Gegenkandidaten wiederholt. In einer ersten Reaktion im Fediverse hatte Digitalcourage eine „Auseinandersetzung“ bestätigt, die Korrektheit des Gedächtnisprotokolls indessen in Zweifel gezogen. In einer zweiten Reaktion einer Tageszeitung gegenüber kritisierte eine Digitalcourage-Sprecherin nur noch, dass das Gedächtnisprotokoll „andere Perspektiven völlig außer Acht lässt“.[37]

Weblinks

Einzelnachweise