Fraktursonografie

medizinische Ultraschalldiagnostik

Die Fraktursonografie ist ein spezielles Anwendungsgebiet der medizinischen Ultraschalldiagnostik (Sonografie) zum Nachweis von Knochenbrüchen (Frakturen). Daneben existieren noch weitere Anwendungen der Knochensonografie, so zur Kallusdarstellung (siehe Kallus (Medizin)) und in der Osteoporosediagnostik. Die Sonografie selbst ist ein weit verbreitetes und nahezu nebenwirkungsfreies Diagnoseverfahren, das von einem Großteil der Ärzte und Kliniken angewendet wird. Das Einsatzgebiet reicht von der Vorsorge über die Akutdiagnostik bis zur Nachbehandlung. Seit der Einführung des medizinischen Ultraschalls in den 1950er Jahren wurde die Technik zur Beurteilung von Weichteilen wie Haut, Organen und Gefäßen genutzt. Die intensive Forschung seit 2005 erlaubte ab 2009 auch den sicheren Einsatz der Fraktursonografie zur Darstellung von bestimmten Knochenbrüchen (unter anderem Handgelenk, Ellenbogen, Oberarm) bei Kindern im Alter bis zu zwölf Jahren und zur Verlaufsbeurteilung. Dadurch kann im Wachstumsalter die Strahlenbelastung durch die sonst übliche Röntgendiagnostik reduziert werden.

Anwendung

Physikalische Grundlagen

Die Fraktursonografie erfolgt im regulären B-Mode-Verfahren mit einer linearen Ultraschallsonde (Linearschallkopf)[1] und standardisierten Ultraschallgeräten bei vier bis zwölf Megahertz und unterliegt damit den technischen und physikalischen Grundlagen der Sonografie. Der hohe Impedanzunterschied (akustische Impedanz) zwischen Knochen und Weichteilen hat eine vollständige Reflexion der Schallwellen an der Kortikalis (Knochenoberfläche) zur Folge,[2] so dass mit dieser Methode die Knochenoberfläche, nicht aber die darunter liegenden Strukturen beurteilt werden können.

Darstellung und Limitationen

Mit der Ultraschallbildgebung kann die Oberfläche fast aller Extremitätenknochen beurteilt werden.[3] Hierbei ist eine Darstellung aller Flächen möglich, die nicht von anderen Knochen überlagert werden. Aus diesem Grunde können die knöchernen Gelenkflächen nicht mit ausreichender Genauigkeit abgebildet werden.[4]Während die Röntgendiagnostik als Erstdiagnostik bei fast allen akuten und chronischen Schäden am Knochen angewendet wird, ist die Fraktursonografie bis auf wenige Ausnahmen auf die bisher erforschte Diagnostik frischer Knochenbrüche im Kindesalter beschränkt.[5] Bei den unten genannten Einsatzgebieten ist die sonografische Diagnostik dem Röntgenbild gleichwertig; weitere Einsatzmöglichkeiten sind in der Entwicklung, jedoch noch nicht abschließend beurteilbar. An der Wirbelsäule wird die Fraktursonografie nicht eingesetzt.

Ein Vorteil der Fraktursonografie ist die zusätzliche Darstellung von Weichteilstrukturen[6] wie einem Hämatom (=Bluterguss), Gelenkerguss (=Flüssigkeit im Gelenk) oder einem Blutgefäß.

Aufgrund der begrenzten Größe der Ultraschallsonde wird nur ein kurzer Ausschnitt des Knochens dargestellt. Sind längere Ausschnitte nötig, werden diese Bereiche schrittweise nacheinander[7] dargestellt.

Ziel der Maßnahme

Vergleich Röntgen/Sonografie; subcapitale Humerusfraktur (körpernaher Bruch des Oberarmknochens)

Mit der Fraktursonografie können Knochenbrüche des Schaftes und der Metaphyse (=gelenknaher Anteil) von Knochen dargestellt werden.[8] Da nur die Knochenoberfläche abgebildet wird, sind nur bestimmte Knochenbruchformen für die Ultraschalldiagnostik geeignet. Gelenkfrakturen können nicht sicher dargestellt werden. Daher ist die Anwendung für die Erstdiagnostik nur bei Kindern sinnvoll,[5] da Gelenkfrakturen im Wachstumsalter selten sind; bei Erwachsenen ist stets eine zusätzliche Röntgendiagnostik notwendig. Beim erwachsenen Skelett kann die Sonografie zur Diagnostik von Rippen- und Brustbeinbrüchen sowie zur Stellungskontrolle eingesetzt werden, um Verschiebungen und Abkippungen bei Knochenbrüchen auszuschließen.[9]

Geschichte und Entwicklung der Fraktursonografie

Die Grundlagen der Ultraschalldiagnostik wurden mit der Entdeckung der Piezoelektrizität 1880 von Pierre Curie gelegt. Nach der ersten Anwendung als Echolot 1913 folgten medizinisch-therapeutische Anwendungen in der Tumortherapie in den 1930er Jahren,[10] jedoch ohne dauerhaften Erfolg. 1942 veröffentlichte der Neurologe Karl Dussik einen Artikel zur von ihm so bezeichneten „Hypersonografie“ zur Diagnostik der Hirnventrikel.[11] Es folgten 1950 das erste sogenannte B-Bild-Gerät als Wasserbadscanner und 1957 die ersten Geräte in der modernen Bauform mit einem Handstück ohne Wasserbad.

Die sonografische Primärdiagnostik von Frakturen wurde erstmals 1986 von Leitgeb[12] untersucht, seitdem sind etliche Untersuchungen zu verschiedenen Lokalisationen erschienen. Da mit der Röntgendiagnostik jedoch eine überall verfügbare Alternative zur Verfügung stand, konnte sich die Sonografie zur Knochenbruchdarstellung im klinischen Alltag nicht durchsetzen. Erst mit der systematischen Untersuchung der Sensitivität und Spezifität im direkten Vergleich zur radiologischen Bildgebung wurden in den Jahren 2009 (Handgelenk),[8] 2010 (Oberarm)[13] und 2013 (Ellenbogen)[14] wegweisende Arbeiten publiziert. Diese ermöglichten mit dem Nachweis einer vergleichbaren Sicherheit von Ultraschall und Röntgendiagnostik eine weitere Verbreitung der Fraktursonografie.

Aktuelle Anwendungsbereiche

Allgemeines

Es erfolgt zunächst eine Befragung zum Unfallhergang (Anamnese) und eine körperliche Untersuchung. Danach erfolgt die Fraktursonografie in entspannter Position, sitzend oder liegend.[5] Bei Kindern kann die Untersuchung meist auch auf dem Schoss der Eltern sitzend erfolgen. Nach Auftragen des Ultraschallgels wird der Linearschallkopf vorsichtig in der Knochen-Längsachse (=parallel zum Knochenschaft) aufgesetzt und um den verletzten Knochen herumgeführt. Da das Gel meist als angenehm kühlend empfunden und kein großer Druck ausgeübt wird, sind die Schmerzen der Untersuchung im Mittel geringer als bei der Röntgendiagnostik.[15] Bei handgelenksnahen Unterarmbrüchen, ellenbogennahen Brüchen, schultergelenksnahen Oberarmbrüchen und Schlüsselbeinbrüchen wird die Fraktursonografie bei Patienten im Alter bis zu zwölf Jahren angewandt, bei Brustbeinbrüchen in jedem Alter.

Handgelenksnahe Unterarmbrüche

Diese Knochenbrüche stellen sich regelhaft mit Veränderungen an der Knochenoberfläche dar (Wulst, Knick, Versatz) und können daher ohne Röntgenbild diagnostiziert und behandelt werden.[16] Gelenkfrakturen sind selten. Ein Röntgenbild ist nur in Ausnahmefällen notwendig. Die Sicherheit der Anwendung wurde 2016 in einer Auswertung (Metaanalyse) von wissenschaftlichen Arbeiten zu diesem Thema bestätigt.[17]

Die Sensitivität der Methode im Vergleich zur Röntgendiagnostik beträgt 96 %, die Spezifität 100 %, der positive Vorhersagewert 1, der negative Vorhersagewert 0,88.[18], damit ist die Erkennungsrate nahezu so hoch wie bei der Röntgendiagnostik.[19]

Das Vorgehen wird im Wrist-SAFE-Algorithmus (SAFE steht für Sonographic Algorithm for Fracture Evaluation, Sonografischer Algorithmus für die Beurteilung von Brüchen) zusammengefasst:[5][16] Nach einer körperlichen Untersuchung werden die handgelenksnahen Unterarmknochen aus sechs Richtungen sonografisch beurteilt. Wenn sich hier ein Bruch zeigt, wird die Verschiebung (Achsabweichung) gemessen und die entsprechende Therapie (Gipsbehandlung oder Operation) eingeleitet. Im Falle einer Operation erfolgt ein zusätzliches Röntgenbild. Wenn kein Knochenbruch nachgewiesen wird, erfolgt die Therapie abhängig von den bestehenden Schmerzen mit einem Gips oder einem elastischen Verband und einer ärztlichen Kontrolle nach fünf Tagen. Wenn nach diesem Zeitraum immer noch Schmerzen auftreten, wird zur Sicherheit eine Röntgenkontrolle durchgeführt; bei Schmerzfreiheit kann die Behandlung beendet werden.

Ellenbogennahe Brüche

Bei den ellenbogennahen Brüchen (im Wesentlichen sogenannte suprakondyläre Frakturen, siehe Distale Humerusfraktur) kann mittels Ultraschall ein Knochenbruch weitgehend ausgeschlossen werden, indem ein Gelenkerguss (Fettkörperzeichen, fat pad sign) ausgeschlossen wird.[20] Wenn ein Gelenkerguss nachgewiesen wird, muss ein Röntgenbild angefertigt werden, um den Bruch exakt zu beurteilen.Die Sensitivität der Methode im Vergleich zur Röntgendiagnostik beträgt 97,9 %, die Spezifität 95 %, der positive Vorhersagewert 0,95 der negative Vorhersagewert 0,98.[14]

Das Vorgehen wird im Elbow-SAFE-Algorithmus[21] zusammengefasst:[5][16] Nach der körperlichen Untersuchung wird eine Ultraschalluntersuchung des Ellenbogens durchgeführt. Wenn diese ein positives sogenanntes Fettkörperzeichen (das eine Flüssigkeitsansammlung im Gelenk anzeigt) zeigt, besteht der Verdacht auf einen Knochenbruch. Zur exakten Diagnostik wird dann ein Röntgenbild angefertigt. Wenn sich sonografisch kein Fettkörperzeichen findet, erfolgt schmerzabhängig eine Gipsanlage oder ein elastischer Verband und eine ärztliche Kontrolle nach fünf Tagen. Bei weiterbestehenden Schmerzen wird nach diesem Zeitraum eine Röntgenkontrolle durchgeführt, bei Schmerzfreiheit kann die Therapie beendet werden. Mit diesem Vorgehen lassen sich etwa 70 % der Röntgenbilder des Ellenbogens einsparen.

Schultergelenksnahe Oberarmbrüche

Auch diese Brüche können durch ihre Veränderungen an der Knochenoberfläche gut sonografisch dargestellt werden.[5] Da an dieser Stelle jedoch auch ein Knochentumor als Ursache von Brüchen auftreten kann, muss hier bei allen nachgewiesenen Brüchen immer ein Röntgenbild angefertigt werden, um einen Tumor auszuschließen. Die Sensitivität der Methode im Vergleich zur Röntgendiagnostik beträgt 94,4 %, die Spezifität 100 %.[13]

Das Vorgehen wird im Shoulder-SAFE-Algorithmus zusammengefasst:[5][16] Nach der körperlichen Untersuchung erfolgt die sonografische Darstellung der Schulter von innen, vorne, seitlich und von hinten. Wenn sich hier ein Knochenbruch zeigt, wird die Verschiebung gemessen und eine entsprechende Therapie eingeleitet; zusätzlich wird dann ein einzelnes Röntgenbild zum Ausschluss einer Knochenzyste oder eines Knochentumors angefertigt. Wenn sich kein Bruch findet, erfolgt eine ärztliche Kontrolle nach fünf Tagen. Bei weiterbestehenden Schmerzen erfolgt dann eine Röntgenkontrolle.

Schlüsselbeinbrüche

Der Schlüsselbeinbruch ist eine häufige Fraktur im Kindesalter. Er kann sonografisch gut dargestellt[22][23][24] und meist konservativ behandelt werden. Hier kann die gebogene Form des Knochens und die Nähe zum Kopf-Hals-Bereich die Untersuchung erschweren. In allen unklaren Fällen wird ein Röntgenbild angefertigt.

Brustbeinbrüche

Auch Knochenbrüche des Sternums (=Brustbein) können sonografisch sicher erkannt werden[25][26]. Da die Röntgendiagnostik an dieser Stelle aufgrund der anatomischen Lage häufig unsicher ist, kann die Fraktursonografie als sichere und schnelle Alternative eingesetzt werden. In mehreren Studien wurde eine bessere Erkennungsrate im Vergleich zum konventionellen Röntgenbild sowohl für Brüche bei Kindern als auch bei Erwachsenen gezeigt[27][28][29]. Der Bruch wird im einfachen Längsschnitt (in der Längsachse des Brustbeins) dargestellt. Ist eine genaue Darstellung der Verschiebung nötig, sollte eine zusätzliche Röntgendiagnostik erfolgen[30].

Rippenbrüche

Knochenbrüche der Rippen können ebenfalls mit dem Ultraschallverfahren diagnostiziert werden,[31] auch wenn es aufgrund des hohen Zeitaufwandes der Untersuchung aller 24 Rippen und möglichen Schmerzen nicht als Standardverfahren eingesetzt wird.[32]

Fraktursuche

Die Methode kann als Screeningverfahren verwendet werden, wenn nicht klar ist, wo am Skelett ein Bruch zu suchen ist (beispielsweise bei der sogenannten Toddler’s fracture). Um zu vermeiden, dass mehrere Knochen bei der Suche geröntgt werden müssen, kann mit dem Ultraschall nach Knochenbruchzeichen gesucht und dann diese Region gezielt geröntgt werden. Hierzu wurde der Screening-SAFE vorgeschlagen.

Stellungskontrollen

Für Stellungskontrollen ist die Fraktursonografie in jedem Patientenalter möglich. Sie kann erfolgen, wenn ein Röntgenbild und eine Ultraschalluntersuchung zum Vergleich vorliegen. Zur Kontrolle einer Abkippung oder Verschiebung der Bruchfragmente kann dann eine Ultraschalldarstellung und der Vergleich mit den Voraufnahmen erfolgen.[5] Hierzu wurde der Follow-up-SAFE vorgeschlagen.

Schädelfrakturen

Bei Kleinkindern kann die Darstellung von Schädelfrakturen und teilweise auch des darunter liegenden Gehirns mit dem Ultraschall erfolgen.[33][34] Bei guter Darstellung kann damit eine Computertomografie des Schädels vermieden werden.

Risiken und Nebenwirkungen

Es sind bisher keine relevanten Nebenwirkungen der verwendeten B-Mode-Technik bekannt. Zwar sind Effekte aufgrund von Erwärmung, Druck und mechanischen Irritationen bekannt,[35] diese sind jedoch unschädlich. Es entsteht keine Strahlenbelastung.[36] Zwar ist die Strahlenbelastung bei Röntgenaufnahmen der Extremitäten sehr gering, sollte jedoch nach dem ALARA-Prinzip vermieden werden, wenn die Qualität der Diagnostik nicht beeinträchtigt wird.

Fehlerquellen und Gefahren

Bei hochgradig instabilen Knochenbrüchen sollte die Ultraschalldiagnostik nur mit großer Vorsicht angewandt werden, um eine Verschiebung durch die Untersuchung zu vermeiden, da ein Gipsverband zur Untersuchung abgenommen werden muss. Die standardisierten Untersuchungsebenen sollten eingehalten werden, um reproduzierbare Ergebnisse zu erhalten und eine Vergleichbarkeit zu gewährleisten.[16] Da nur ein kleiner Ausschnitt des Knochens dargestellt werden kann und längere Abschnitte sequentiell untersucht werden müssen, können leichte Verbiegungen (wie bei einer Bowing-fracture)[37] der Untersuchung entgehen.[16] Im Zweifelsfall sollte eine Röntgenaufnahme erfolgen.

Dokumentation

Bei der Fraktursonografie stellt sich die besondere Problematik der Dokumentation. Da sich auf den Bildern der Knochen meist nicht eindeutig identifizieren lässt, ist bei der Ultraschalldiagnostik eine sorgfältige Kennzeichnung der Lokalisation, der Seite und der Bildebene notwendig.[16]

Alternativen

Die Ultraschalldiagnostik zeigt in fast allen Fällen eine eindeutige Diagnose. Bei Fragen der Gelenkbeteiligung von Knochenbrüchen, bei hochgradiger Verschiebung der Bruchenden oder bei offenen Verletzungen mit Wunden, Gefäß- oder Nervenschäden ist jedoch eine weitergehende Diagnostik (meist durch ein Röntgenbild, eine Computertomographie oder eine Magnetresonanztomographie) erforderlich. Auch in allen unklaren Fällen oder bei Unsicherheiten in der Beurteilung kann ein konventionelles Röntgenbild angefertigt werden. Im Vergleich beider Untersuchungen werden eine Zeitersparnis von 25 Minuten (Gesamtzeit vom Untersuchungsbeginn bis zum Abschluss der Bildgebung inklusive Weg- und Wartezeiten) zugunsten der Ultraschalluntersuchung und eine Reduzierung der Schmerzen der Untersuchung von 1,7 auf 1,2 (visuelle Analogskala 0 bis 5 Punkte) angegeben.[15]

Weblinks

Einzelnachweise