Gotthardbahn-Gesellschaft

ehemalige private Eisenbahngesellschaft

Die Gotthardbahn-Gesellschaft (GB) wurde 1871 in Luzern als Aktiengesellschaft gegründet, um die Gotthardbahn zu errichten und zu betreiben. Die Bahngesellschaft wurde vom Schweizer Staat zurückgekauft und 1911 liquidiert. Die Strecken der Bahngesellschaft werden seit dem 1. Mai 1909 durch die Schweizerischen Bundesbahnen betrieben.

Erinnerungsblatt an den Bau und die Eröffnung der Gotthardbahn. Oben sind Alfred Escher und der Tunnel­bauer Louis Favre abgebildet, darunter der Vorstand der Gotthardbahn-Gesellschaft im Eröffnungsjahr 1882.
Alfred Escher, Förderer und erster Direktionspräsident der GB
Bau des Häggeribachtunnels, der die Bahn vor Lawinen schützt, unterhalb Wassen
Belastungsprobe der Chärstelen­bachbrücke bei Amsteg um 1880

Geschichte

Vorgeschichte

Die Initiative zu einer grenzüberschreitenden Nord-Süd-Verbindung ging von dem wirtschaftsliberalen und verkehrstechnisch erschlossenen Kanton Zürich (Nordbahn: Zürich–Baden, später Nordostbahn: Zürich–Friedrichshafen und Zürich–Basel) aus, um durch die Förderung des Transitverkehrs nach Italien den Handel weiterzuentwickeln und an sich zu ziehen. Einer Umgehung der Schweiz über den Brennerpass und die 1867 fertiggestellte Brennerbahn sollte entgegengewirkt werden. Dabei wurden um 1850 sowohl eine Überquerung als auch ein Durchstich der Alpen sowie verschiedene Streckenführungen (Gotthard, Lukmanier, Splügen und Simplon) in Erwägung gezogen, wobei anfänglich der Lukmanierstrecke der Vorzug gegeben wurde. Letztendlich setzte sich die direktere Verbindung des nordeuropäischen mit dem italienischen Bahnnetz durch die militärisch leichter zu verteidigende Zentralschweiz bei gleichzeitiger Erschliessung des bis dahin weitgehend vom Rest der Schweiz verkehrsmässig isolierten Kantons Tessin durch.[1]

Die politischen Entscheidungen und Verhandlungen zur Finanzierung der Gotthardbahn im Vorfeld der Gründung der Gotthardbahn-Gesellschaft sowie ihre Leitung in der Anfangszeit des Baus wurden wesentlich durch den ehemaligen Präsidenten des Regierungsrates des Kantons Zürich und späteren dreimaligen Präsidenten des Nationalrats Alfred Escher geprägt. Das erste schweizerische Gesetz über den Bau und Betrieb von Eisenbahnen vom 28. Juli 1852 schuf die Grundlage zum Gründung privatwirtschaftlicher anstelle staatlicher Eisenbahngesellschaften. Damit setzte sich die von ihm in der „nationalrätlichen Kommission zur Prüfung der schweizerischen Eisenbahnfrage“ vertretene Position durch, die er bis zu seinem Ableben immer wieder erfolgreich gegen die Fraktion der Staatsbahner verteidigte. 1853 übernahm er die Leitung der Zürich-Bodenseebahn, die er durch Fusion zur Nordostbahn erweiterte und Zürich an Basel und Friedrichshafen anband. Um die für den Eisenbahnbau benötigten grossen Finanzmittel unabhängig von ausländischem Einfluss zu organisieren, gründete Escher mit Gleichgesinnten 1856 die Schweizerische Kreditanstalt (SKA, heute Credit Suisse).[2]

Ab den 1860er-Jahren trieb er das Gotthardbahnprojekt voran. Obwohl der Kanton Zürich nicht direkt an der Bahnlinie lag, sah er durch die Anbindung über den ZugArth-Goldau-Zubringer die Interessen Zürichs und der Nordostbahn gewahrt und gestand der Gotthardbahn nationale Bedeutung zu. 1863 wurde er mit Gründung der Vereinigung schweizerischer Kantone und Bahngesellschaften zur Anstrebung der Gotthardbahn deren Präsident.[3] Die Quellenlage ist hier nicht eindeutig. Auch der luzernische Regierungsrat, Mitglied des Komitees der Zürich-Zug-Luzern-Bahn und spätere Verwaltungsrat der Schweizerischen Centralbahn Joseph Zingg, der am 28. September 1863 in die Gotthardbahnvereinigung gewählt wurde, wird als deren Präsident bezeichnet.[4]

Obligation über 500 Franken der Gotthardbahn-Gesellschaft vom 1. April 1895

In der Gotthardvereinigung vertraten zum Schluss eine Mehrheit von 15 Kantonen sowie die beiden Unternehmen der Schweizerischen Central- und Nordostbahn geschlossen ihr Interesse an einer Nord-Süd-Achse durch das Gotthardmassiv gegenüber alternativen Verbindungen.

Nachdem die Finanzierung des Gotthardprojekts fast ausschliesslich durch staatliche Subventionen der Schweiz, ihrer Kantone und ab 1869 durch Italien, den Norddeutschen Bund und in dessen Rechtsnachfolge ab 1871 das Deutsche Reich abgesichert worden war, wurde 1871 das Unternehmen der Gotthardbahn-Gesellschaft aus der Gotthardvereinigung heraus gegründet, die ihre Rechte an der Gotthardbahn der Gotthardbahn-Gesellschaft übertrug. Alfred Escher wurde ihr Präsident und Joseph Zingg ihr Vizepräsident.

Bau

Von 1872 bis 1882 baute die Gesellschaft die Gotthardbahn. Nach der Eröffnung betrieb sie die Bahn sowie deren weiteren Ausbau bis zur Übernahme der Bahnstrecken durch die Schweizerischen Bundesbahnen (SBB) im Jahr 1909.[5] Umgangssprachlich wurde die GB-Aktiengesellschaft ebenfalls als Gotthardbahn bezeichnet.

Obwohl Luzern Sitz der Gesellschaft wurde, befand sich ein Teil der Verwaltung bis 1878 in Zürich.[3] 1889 bezog die GB das Gotthardgebäude in Luzern.

Geschäftsergebnisse

Aktienkapital und feste Anleihen sowie Dividenden der GB
Eröffnungszug in Bellinzona. Das pompöse Aufnahmegebäude war für die massive Kostenüberschreitung beim Bau der Gotthardbahn mitverantwortlich.
Grafischer Fahrplan der Gotthardbahn im Jahr 1899
Stationspersonal des Bahnhofs Erstfeld um 1900 in Uniformen der Gotthardbahn-Gesellschaft
Verwaltungsgebäude der GB in Luzern
Ein schwerer Güterzug mit Vor­spann- und Schiebelokomotive auf der Polmengo-Brücke und im Boscherino-Tunnel bei Faido

Nach der Gründung begann die Gotthardbahn unmittelbar mit dem Bau ihrer Linien. Um die in der Konzession festgehaltenen Fristen einzuhalten, wurde der Bau der Tessiner Talbahnen beschleunigt. 1874 konnte die GB auf den Teilstrecken im Tessin den Verkehr aufnehmen. Die Baubeschleunigung und die durch den Eisenbahnboom ab 1872 verursachte starke Bauteuerung führten zu einer massiven Überschreitung des Kostenvoranschlages. Zudem berücksichtige Bauunternehmer Louis Favre die Ausmauerung des Gotthardtunnels nicht in seiner Offerte. Ein Aufstand der Mineure, die höhere Löhne und bessere Arbeitsbedingungen forderten, wurde von einer Bürgerwehr gewaltsam niedergeschlagen. Weil den budgetierten Baukosten von 187 Millionen Franken Mehraufwendungen von 102 Millionen Franken gegenüberstanden, stand die GB 1877 faktisch vor dem Konkurs.

Zur finanziellen Sanierung der Gotthardbahn-Gesellschaft war neues Kapital notwendig, das auf dem Markt kaum erhältlich war. Deutschland und Italien stellten weitere 10 Millionen Franken Subventionen zur Verfügung, die Schweiz musste sich mit 8 Millionen beteiligen. Der Sanierungsplan führte in der Schweiz zu hitzigen politischen Debatten über das „Privatbahn­system“. Die Verweigerung von Nachsubventionen durch die Zürcher Stimmbürger veranlasste Alfred Escher zum Rücktritt aus dem Direktorium der GB. Die Baukosten der Gotthardbahn wurden mit verschiedenen Sparmassnahmen verringert. Die Rampenstrecken wurden steiler, mit engeren Kurven und zum Teil nur einspurig realisiert. Der Bau der Abschnitte der Linien Luzern–Immensee und Zug–Arth-Goldau wurde zurückgestellt.

Nach der Aufnahme des durchgehenden Betriebs 1882 war die GB finanziell sehr erfolgreich. Seither waren die Einnahmen aus dem Gütertransport stets deutlich höher als aus dem Personenverkehr. Vor allem der internationale Güterverkehr war von grosser Bedeutung. Beim Personenverkehr spielten die Luxusreisenden eine wichtige Rolle. 1897 konnten die Zufahrtslinien Luzern–Immensee und Zug–Arth-Goldau eröffnet werden. Zudem trieb die GB in den 1890er-Jahren den Doppelspur­ausbau beharrlich voran. Die guten Geschäftsergebnisse erlaubten es der GB, alljährlich eine Dividende auszurichten, die sich bei knapp 7 Prozent des Aktienkapitalwerts einpendelte. Dank der Einführung der automatischen Druckluftbremse, moderner Dampflokomotiven und von Vierachs- und Salonwagen entwickelte sich die GB zur technisch modernsten Bahn der Schweiz.

Verstaatlichung

Am 26. Februar 1904 kündigte der Schweizer Bundesrat vertragsgemäss den Rückkauf der Konzessionen der Privatlinien vor deren Ablauf an und übernahm am 1. Mai 1909 die Eisenbahninfrastruktur der Gotthardbahn mit allen Betriebsmitteln, Rechten und Verpflichtungen. Die Aktionäre der Gotthardbahn-Gesellschaft wurden nach dem Vergleich vom 10. Juni 1911 mit 200'840’000 Franken entschädigt, wovon 117’090’000 Franken durch Übernahme der Anleihe­schulden und 83,75 Millionen Franken in 4-prozentigen Obligationen der Schweizerischen Bundesbahnen abgegolten wurden.[6]Damit war die Gotthardbahn-Gesellschaft aufgelöst.

Streckennetz

Nr.BahnstreckeStreckenabschnittEröffnungDoppel­spurBemerkungLänge[7]
1.Luzern–Immensee –ChiassoLuzernImmensee1. Juni 1897Bau 1877 zunächst zurückgestellt225,10 km
Immensee–Arth-GoldauFlüelen1. Juni 1882Talbahn Nord
Flüelen–Altdorf15. Nov. 1896
Altdorf–Erstfeld6. Dez. 1896
Erstfeld–Amsteg-Silenen9. April 1893Nordrampe
Amsteg-Silenen–Gurtnellen14. Mai 1893
Gurtnellen–Wassen26. Juni 1892
Wassen–Göschenen28. Mai 1893
Göschenen–Airolo1. Jan. 18821. Juni 1883Gotthardtunnel
Airolo–Ambrì-Piotta1. Juni 18822. Sept. 1890Südrampe
Ambrì-Piotta–Rodi-Fiesso31. Juli 1890
Rodi-Fiesso–Faido28. Mai 1890
Faido–Lavorgo13. Sept. 1891
Lavorgo–Giornico27. März 1892
Giornico–Bodio1. Mai 1892
Bodio–Biasca15. Mai 1892
Biasca–Osogna-Cresciano6. Dez. 187431. Mai 1896Talbahn Süd (Sopraceneri)
Osogna-Cresciano–Bellinzona19. April 1896
Bellinzona–Giubiasco20. Dez. 18741. Juni 1883Talbahn Süd (Monte Ceneri)
Giubiasco–Lugano6. Dez. 1874
Lugano–Melide6. Dez. 18746. Dez. 1874Talbahn Süd (Sottoceneri)
Melide–Chiasso
2.Zug–Arth-GoldauZug–Arth-Goldau1. Juni 1897Eröffnung zurückgestellt15,76 km
3.Bahnstrecke Giubiasco–Cadenazzo –Pino (–Luino)Giubiasco–Cadenazzo20. Dez. 1874Talbahn Süd (Sopraceneri)21,83 km
Cadenazzo–Pino4. Dez. 1882Grenze zu Italien zwischen Ranzo-Sant’Abbondio und Pino
4.Cadenazzo–LocarnoCadenazzo–Locarno20. Dez. 1874Talbahn Süd (Sopraceneri)12,46 km
Total (1908)142,04 km (52 %)[8]275,15 km

Rollmaterial

Lokomotiven

Zug der tessinischen Talbahnen mit Lokomotive Ed 2/2 Nr. 4 im provisorischen Bahnhof Bellinzona
Die Gotthardbahn spielte im inter­nationalen Personenverkehr eine wichtige Rolle. Plakat der Chemins de fer de l’Est, das Werbung für eine Reise durch den Gotthard nach Italien macht.
Entwicklung der Transportmengen der Gotthardbahn

Als die GB im Jahr 1874 auf den Strecken BiascaLocarno und LuganoChiasso der tessinischen Talbahnen den Betrieb aufnahm, beschaffte sie verschiedene für Güter- oder Personenzüge geeignete Lokomotiven. 1881 übernahmen die beiden Maschinen Ed 2/2 Nr. 11 und 12 die Zugförderung durch den inzwischen fertiggestellten Gotthardtunnel.

Für die Beförderung der Güterzüge auf den 1882 eröffneten Rampen am Gotthard und am Monte Ceneri setzte die GB schwere Lokomotiven vom Typ D 4/4 mit einer Anhängelast von 180 Tonnen ein. Für Personenzüge standen die schweren D 3/3 und die leichten Tendermaschinen vom Typ Ec 3/4 zur Verfügung. Bereits nach kurzer Zeit übertrafen die transportierten Transportmengen alle Vorhersagen. Güterzüge mit 500 Tonnen Gewicht benötigten auf der Bergstrecke drei Dampflokomotiven. Die Züge wurden mit einer D 4/4 und einer D 3/3 als Vorspann befördert, hinten wurde jeweils mit einer D 3/3 oder D 4/4 geschoben.

Die 1890 beschaffte Mallet-Lokomotive Ed 2 x 3/3 sollte dieselbe Leistung vollbringen wie eine D 4/4. Die bei ihrer Auslieferung stärkste Maschine Europas bewährte sich jedoch nicht. Der zu kleine Kessel konnte die notwendige Maschinenleistung nicht aufbringen.

Ab 1894 wurden die A 3/5 zu den bevorzugten Schnellzug­slokomotiven. Sie führten mit Geschwindigkeiten bis zu 90 km/h Züge von 250 t Gewicht auf den Talstrecken, und bewältigten die Bergstrecken mit 120 Tonnen Anhängelast. Mit der Einführung der A 3/5 konnte die Fahrt von Luzern bis Chiasso auf einen Schlag um zwei Stunden verkürzt werden. Seit 1906 kamen als Vorspannmaschinen die C 4/5 zum Einsatz, die am Berg zusammen mit einer A 3/5 320 Tonnen beförderten.

Die GB bezeichnete ihre Lokomotiven seit 1874 mit römischen Zahlen. Später wurden Grossbuchstaben, verwendet, wobei die einzelnen Serien mit römischen Ziffern unterschieden wurden. Ab 1887 wurden die Lokomotiven nach dem schweizweit einheitlichen System bezeichnet.

Der GB standen die folgenden Lokomotiven zur Verfügung:

Serie
bis 1887
Serie
ab 1887
Serie
ab 1902
GB-Nr. bis 1909SBB-Nr.
ab 1909[9]
AnzahlBaujahrHerstellerBemerkungausrangiertBild
bis 1876: I
dann: A
E2Ed 2/21–68061–806661874, 1883SLMfür gemischte Züge der Tessiner Talbahnen1910–1915
A IF2Ed 2/211–1221881SLMNr. 11 seit 1959 im VHS Luzern1889–1890
A IIF3E 3/313856111875SLMzunächst Rangierlok bei SLM,
dann Baugesellschaft Marsaglia in Faido,
ab 1882 GB mit Namen „Marsaglia“
1913
A IIIF2E 2/214818411876Krauss1876–1882 Tösstalbahn Nr. 4, „Wald“1913
E3Ec 3/3301–3126401–6412121897, 1901SLMRangierlokomotive1934–1954
bis 1876: II
dann: B
A2TC 2/321–2441874Karlsruhefür Personenzüge der Tessiner Talbahnen1896–1905
18–202219–2220318831906–1913
B IA2Eb 2/425–305425–543061882Kraussfür Schnell- und Personenzüge auf Talstrecken1915–1927
B IIA2E 2/31000820011882Kraussab 1882 bei Werrabahn, 1883 von GB gekauft1914
A2Ea 2/431–335031–503331890Maffeifür Schnell- und Personenzüge auf Talstrecken1923
bis 1876: III
dann: C
C3TD 3/341–443441–344241874Kraussfür Güterzüge der Tessiner Talbahnen
Lok 43 und 44 vor Übernahme durch SBB ausrangiert
1906–1912
45–463445–344621876Karlsruhe1910–1911
51–663451–3466161881–1882Esslingen1912–1923
67–833467–3483171890–1895SLMNr. 83 ab 1906 mit Lentz-Ventilsteuerung1920–1925
C IB3Ec 3/481–92
ab 1895:
181–192
6581–658881882EsslingenGemischtzuglokomotive1914–1933
6589–659241883SLM1927–1931
DD4TD 4/4101–1314101–4131311882–1890MaffeiGüterzuglokomotive für Bergstrecken
Nr. 128 ab 1907 mit Brotankessel
1912–1923
132–1364132–413651895SLM1920–1923
D4T141–1454001–400551901SLMGüterzuglokomotive für Bergstrecken1926–1928
D6Ed 2x3/3151769911890MaffeiGüterzuglokomotive für Bergstrecken
Bauart Mallet
1917
C 4/52801–28082801–280881906MaffeiGüterzuglokomotive für Bergstrecken
bereits bei Ablieferung mit SBB-Nummer
1925
A3TA 3/520190111894SLMSchnellzuglokomotive
Nassdampf-Dreizylinder-Verbundmaschine
1923
202–230902–930291894–1905SLMSchnellzuglokomotive
Nassdampf-Vierzylinder-Verbundmaschine
1924–1927
A 3/5931–938931–93881908MaffeiSchnellzuglokomotive
Heissdampf-Vierzylinder-Verbundmaschine
1925

Wagen

Salonwagen As 51–52, erbaut 1882/83 von der SIG.
Gotthard-Express Luzern–Mailand mit Lokomotive A 3/5 Nr. 202 und neuen Vierachsern 1. und 2. Klasse.
Der SCB-Wagen (links) wirkt im Vergleich zum GB-Wagen (rechts) veraltet.
Der 1897 von Van der Zypen & Charlier gelieferte Erstklasswagen

Bei der Beschaffung von Reisezugwagen war die Gotthardbahn-Gesellschaft von Anfang an auf den internationalen Verkehr ausgerichtet. Von Anfang an wurden zwei internationale Schnellzüge angeboten, die von Basel bis Mailand durchliefen.[10] Entsprechend der grossen Zahl gutbetuchter Fahrgäste besass die GB übermässig viele Erst- und Zweitklasswagen. Im Jahre 1883, dem ersten vollen Betriebsjahr wurden gerade mal 62 % Fahrgäste 3. Klasse befördert, die restlichen Fahrgäste fuhren 2. Klasse (30 %) und 1. Klasse (8 %).[11] Ausserdem wurde die Bahn im Personenverkehr förmlich überrannt: statt den erwarteten 250 000 Fahrgäste benutzten über 1 Million Fahrgäste die Bahn.[12] Es mussten deshalb dringend mehr Wagen bestellt werden. Alleine im Jahre 1882 wurden zwei Salonwagen, 25 Wagen 1. Klasse und 25 Wagen 2. Klasse bestellt, aber nur 15 Wagen 3. Klasse.

Die zweiachsigen Salonwagen As 51–52 wurden von der SIG geliefert. Die ausgesprochen komfortablen Fahrzeuge wiesen 18 Sitzplätze auf, 6 im mittleren Salonabteil mit Oberlicht, 6 im soge­nannten Nachtabteil mit ausziehbaren Sitzen und 6 im seitlich offenen Aussichts­pavillon. Dazu kamen ein WC und ein Waschraum. Sie ersetzen die Schlafwagen der Compagnie Internationale des Wagons-Lits (CIWL) in den Nachtzügen.[13]

Die Gotthardbahn war die erste Bahngesellschaft Europas, die Ganzstahlwagen einsetzte.[14] Die 1897 von Van der Zypen & Charlier gelieferte Erstklasswagen, Zweitklasswagen und gemischte Erst- und Zweitklasswagen zählte zu den ersten Ganzstahlwagen des Kontinents. Die aussen dunkel­blau gestrichenen Wagen besassen geschlossene Plattformen, Faltenbalg-Übergänge und Wiegen-Drehgestelle und eine luxuriöse Innenausstattung mit schweren Plüschfauteuils, gross­zügiger Beinfreiheit und elektrische Beleuchtung.

Als Gebirgsbahn schenkte die Gotthardbahn den Bremsen grosse Aufmerksamkeit. Da anfänglich nur Handbremsen zur Verfügung standen, musste jeder Wagen mit einem Bremser besetzt werden, der die Bremse nach den Pfeifsignalen der Lokomotive anlegte und wieder löste.

Ab 1882 führten die Schweizerische Centralbahn (SCB) und die Gotthardbahn Schnellzüge auf der Strecke Basel–Chiasso mit der nichtautomatischen Vakuumbremse. Zwei Jahre später waren 103 Personenwagen 1. und 2. Klasse sowie 12 Gepäckwagen versuchsweise damit ausgerüstet. Die nichtautomatische Bremse spricht bei einer Zugstrennung nicht selbsttätig an und es steht keine Notbremse zur Verfügung. Mit der automatischen Vakuumbremse, die diese Nachteile vermeidet, wurden in den Jahren 1885 bis 1887 9 Lokomotiven, 10 Personenwagen und 2 Gepäckwagen versehen.

Leistungsfähiger als die Vakuumbremse ist die Westinghouse-Druckluftbremse, welche beim damaligen Stand der Technik zusammen mit der direkt wirkenden Regulierbremse auch zum Befahren von starken und langen Gefällen geeignet war.[15] Ab 1888 rüstete die GB die meisten Lokomotiven sowie sämtliche Personen- und Gepäckwagen damit aus. Dieses System wurde auch als doppelte Westinghousebremse bezeichnet.

Die Wagen aus dem Jahre 1874 besassen anfänglich noch Öllampen. Im Jahre 1882 begann die GB mit der Einführung der Gasbeleuchtung. Das Gas, das für eine Beleuchtungsdauer von 30 Stunden ausreichte, wurde in Behältern mitgeführt. Die Gasstation befand sich in Bellinzona, wobei zum Nachfüllen an anderen Orten ein Gaswagen mit zwei Druckkessel zur Verfügung stand. Die letzten in den Jahren 1903 und 1904 beschafften Reisezugwagen erhielten eine elektrische Beleuchtung.

Bei der Heizung fand ab 1887 die Umstellung von Öfen auf Dampfheizung statt. Zur Benutzung der Toilette musste ursprünglich – mit Ausnahme der Luxuswagen – der Gepäckwagen aufgesucht werden. Erst seit der Jahrhundertwende gehört ein WC zum allgemeinen Standard der Personenwagen.

Die Güterwagen der Gotthardbahn zeigten keine nennenswerten Abweichungen gegenüber denjenigen anderer Bahnen in der Schweiz oder im Ausland. Ab 1888 wurden 451 Güterwagen, die in Reisezügen verkehrten, mit der Westinghousebremse ausgerüstet. Güterzüge verkehrten jedoch bis in die 1930er-Jahre handgebremst. Im Jahr 1908 – vor der Übernahme durch die SBB – besass die GB 1776 Güterwagen.

Literatur

Weblinks

Einzelnachweise und Anmerkungen