Gradierwerk

in der Salzgewinnung genutzte Anlage, in der durch Verdunstung der Salzgehalt einer Sole erhöht wird

Ein Gradierwerk (veraltet auch Leckwerk) ist eine Anlage, die im Prozess der Salzgewinnung aus Sole der Erhöhung der Salzkonzentration („gradieren“) sowie der Qualitätsverbesserung des gewonnenen Salzes dient. Das Gradierwerk besteht aus einem frei aufgestellten Holzgerüst, das mit Reisigbündeln aus Schwarzdorn (früher Stroh) verfüllt ist. Die Sole wird von oben über dem Reisig verrieselt, wobei die Tropfen auf ihrem Weg nach unten einen erheblichen Teil ihres Wassers durch Verdunstung verlieren. Gleichzeitig lagern sich schwer lösliche, unerwünschte Begleitminerale der Sole wie Kalk, Gips und Eisenstein am Reisig ab, wodurch sich die Qualität des erzeugten Salzes erhöht. Weiterhin entweicht gegebenenfalls vorhandene Kohlensäure aus der Sole, was zu einer Verstärkung des Ausfällprozesses von Kalziumsalzen führt.

Gradierwerk in Bad Kösen

Gradierwerke sind normalerweise Teil eines Salzwerks oder Saline, wozu neben dem Gradierwerk auch Solebrunnen, Pumpanlagen, Siedehäuser und weitere Einrichtungen gehören.

Viele Salinen sind im Laufe der letzten 200 Jahre verschwunden, wobei sich die ursprünglichen Salzorte zu Bade- oder Kurorten wandelten. In manchen dieser Orte sind Gradierwerke als markante Reste der ehemaligen Saline erhalten geblieben und werden im Volksmund oft fälschlich selbst als „Salinen“ bezeichnet.

Wegen des in ihrer Nähe angenehmen Salzklimas werden Gradierwerke in Badeorten nicht nur museal erhalten, sondern auch zu Kurzwecken als eine Art Freiluftinhalatorium etwa in Kurparks umgenutzt oder sogar in kleinerer Form neu gebaut, ohne jedoch mit einer Salzproduktion in Verbindung zu stehen.

Gradierverfahren

Konstruktionszeichnung eines Gradierwerks aus dem 18. Jahrhundert

Vom 16. zum 17. Jahrhundert hatte sich als technische Innovation die Dorngradierung durchgesetzt. Sie ermöglichte es den Salinen, die Solekonzentration vor dem Versieden durch natürliche Verdunstung zu steigern und dadurch wertvolles Heizmaterial einzusparen. Die Sole rieselt dafür eine meist um 10 m hohe Wand aus Reisig des Schwarzdorns (Prunus spinosa) hinunter. Wind und Sonne lassen dabei Wasser verdunsten und der Salzgehalt erhöht sich. Gleichzeitig setzen sich unerwünschte Bestandteile der Rohsole wie Kalk oder Gips im Reisig ab und verkrusten daran als grau-brauner Dornstein. Nach mehreren Jahren muss deshalb der Schwarzdornreisig ausgetauscht werden, weil der Dornstein die Lufträume in der Schwarzdornwand verkleinert und mit der Zeit durch sein Gewicht zu statischen Problemen führt.

Die Dorngradierung hat die zuvor genutzte Strohgradierung vollkommen verdrängt, die im 16. Jahrhundert in Bad Kissingen eingeführt worden war.[1] Die Dorngradierung machte das schnell faulende und die Sole verunreinigende Stroh überflüssig, und sie trug sogar zur Reinigung der Sole bei. Das dazu nötige hohe Holzgerüst, die Pumpen und die immer größer werdenden Siedeeinrichtungen kosteten allerdings so viel, dass im Zuge der aufkommenden merkantilistisch-kameralistischen Wirtschaftspolitik in vielen Territorien des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation zunehmend staatliche Monopolsalinen gegründet wurden.[2]

Auf Friedrichsborn in Unna-Königsborn wurde im 18. Jahrhundert als technische Neuerung eine sogenannte Windkunst eingeführt. Sie hob die Sole auf das Gradierwerk Friedrichsbau.[3] In Bad Rothenfelde ist seit 2007 wieder eine Kokerwindmühle zu sehen, die auf dem Neuen Gradierwerk steht; ihre Vorgängerin diente, wie die Mühle in Friedrichsborn, dazu, Wasser auf ein Gradierwerk zu befördern.

Die am höchsten konzentrierte Sole wurde mit 27 Prozent Salzgehalt im thüringischen Bad Salzungen, im bayerischen Bad Reichenhall und im baden-württembergischen Bad Dürrheim gewonnen.

Die insgesamt acht Bad Kreuznacher Gradierwerke haben zusammen eine Länge von rund 1.100 m und werden heute im Rahmen des „Gesundheits-Tourismus“ genutzt. Da die Sole hier keinen Gips enthält, mussten die Dornwände nicht so häufig erneuert werden.

Heutige Nutzung der Gradierwerke

Gradierwerke werden in Deutschland heute oft zu Kurzwecken betrieben und sind deshalb besonders häufig in Kurorten vorzufinden z. B. in Bad Kissingen und Bad Orb. Durch die herabrieselnde Sole wird die Luft in der Nähe des Gradierwerks mit Soletröpfchen und Salzaerosol angereichert, die Wassertröpfchen binden Partikel in der Luft. Dies wirkt sich ähnlich wie bei Seeluft beispielsweise bei Pollenallergikern und Asthmatikern und anderen erkrankten Personen positiv aus. Durch das Einatmen salzhaltiger Luft werden die Atemwege befeuchtet und die Wandungen der Atemorgane positiv beeinflusst. Des Weiteren besitzen die feinen Salzkristalle eine sekretlösende Wirkung, reinigen die Atemwege intensiv von Bakterien und lassen die Schleimhäute abschwellen. Viele Ärzte und Heilpraktiker empfehlen aus diesen Gründen einen längeren Aufenthalt an der See oder in Kurorten, welche sich den Effekt der Gradierwerke zu Nutzen gemacht haben.

In vielen Kurorten (beispielsweise in Bad Königshofen) wurde darüber diskutiert, ob die Errichtung neuer Klein-Gradierwerke ihren Kureinrichtungen hinreichend viele neue Kurgäste zuführe und eine entsprechende Kosten-Nutzen-Rechnung positiv ausfalle.[4] Ein derartiges Gradierwerk wurde unter dem Namen „Sole-Arena“ im Rahmen der Landesgartenschau 2010 in Bad Essen errichtet. Miniatur-Gradierwerke können auch in geschlossenen Räumen aufgestellt werden, wo sie die Raumluft positiv beeinflussen. Derartige Gradierwerke gibt es z. B. im Kurort Damp an der Ostsee[5] in der KissSalis Therme in Bad Kissingen[6] sowie im schweizerischen Rheinfelden, neuerdings auch im Laguna in Aßlar bei Wetzlar.

Gradierwerke dienen auch als Sehenswürdigkeiten der Orte, in denen sie aufgestellt sind. Von vornherein als Bauwerk, das Erlebnisse im Umfeld der Kurparkanlage ermöglichen soll, ist beispielsweise die Rekonstruktion des Gradierwerks in Bad Salzuflen konzipiert worden.[7]

Die besondere optische Struktur der Reisigwände bietet Lichtkünstlern außergewöhnliche Möglichkeiten für ihre Kunstausübung. Hiervon hat erstmals die Gemeinde Bad Rothenfelde im Jahr 2007 Gebrauch gemacht, indem sie die Lichtkunst-Biennale Lichtsicht inszenierte.[8]

Standorte

Deutschland

Orte mit Gradierwerken in Deutschland
OrtGes.längeWerkLängeBaujahrLageBemerkungen
Bad Dürkheim333 mGradierwerk (Bad Dürkheim)1850Errichtet zwischen 1847 und 1850 und nach zweimaliger Brandstiftung (1992 und 2007) zuletzt im Jahr 2010 wieder eröffnet.
Bad Dürrheim108 mGradierwerk im Kurpark60 m2015Mit 700m NHN höchstes Solebad Europas
Bad Dürrenberg636 mGradierwerk I55 m, heute noch 45 m1765größtes zusammenhängendes Gradierwerk Deutschlands, einst hatten die Gradierwerke eine Gesamtlänge von 1821 m
Gradierwerk II320 m, vollständig erhalten
Gradierwerk III185 m, heute noch 55 m
Gradierwerk IV96 m, abgerissen
Gradierwerk V840 m, abgerissen
Querstück100 m, im Bau
Doppelstück90 m, im Bau
Bad Essen
Bad Hamm42 mBad Hamm#Gradierwerk2009
Bad Karlshafen30 m
Bad Kissingen40 mUntere Saline (Bad Kissingen)1562Ältestes Gradierwerk Deutschlands. Die Länge betrug einst über zwei Kilometer. Der zuletzt noch bestehende Nordflügel wurde 1994 erneuert.[9]
Bad Kösen325 m
Bad Kreuznach1100 mGradierwerk I300 m
Gradierwerk II
Gradierwerk III
Gradierwerk IV
Gradierwerk V
Gradierwerk VI
Bad Münder am Deister20 m1999[10]
Bad Münster am Stein-Ebernburg1729
Bad Nauheim650 mGradierwerk I[11]
Gradierwerk II
Gradierwerk III
Gradierwerk IVbilden zusammen die „Lange Wand“, zwischen ihnen befindet sich ein Windmühlenturm
Gradierwerk V
Bad Oeynhausen70 m1989/1990Nachbau von 1989/1990[12]
Bad Orb158 mGradierwerk158 m, mit Kopfhaus1806zwischen 1729 und 1748 wurde eine neue Saline mit 10 Gradierwerken errichtet. Im 20. Jahrhundert wurden alle Gradierwerke bis auf das jüngste und größte, 1806 errichtete, abgerissen.
Bad Rappenau30 m2008
Bad ReichenhallGradierhaus (Bad Reichenhall)1615 „Leckwerk“ mit Strohgradierung, 1745 erste Dorngradierung. Aktueller Bau als Inhalatorium erbaut 1911.
Bad Rothenfelde534 mGradierwerk I420 mgrößtes stützenfreies Gradierwerk Westeuropas
Gradierwerk II114 m
Bad Salzdetfurth120 mGradierwerk I70 m
Gradierwerk II50 m
Bad Salzelmen320 mGradierwerk (Schönebeck)Mit 1837 m das einst längste Gradierwerk Europas, heute sind noch 300,4 m vorhanden.
Bad Salzhausen
Bad SalzuflenGradierwerk Parkstraße1767
Gradierwerk Uhrenturm
„ErlebnisGradierwerk“80 m2007
Bad Salzungen169 m„Ostwand“82 m1796/1797letzte Originalwand von insgesamt 24 Gradierwänden[13]
„Westwand“87 m1901[13]
Bad Sassendorf73 mErlebnisgradierwerk2019[14] Erlebnisgradierwerk mit Sauna-Anlage für die Gäste der angrenzenden Sole-Therme
Bad Soden (Ortsteil von Bad Soden-Salmünster)2006
Bad Sooden-Allendorf140 m(früher) Gradierwerk Nr. 51638/20021999 bis 2002 vollständig erneuert[15]
Bad Staffelstein100 mGradierwerk I50 m
Gradierwerk II50 m
Bad Westernkotten178 mGradierwerk I120 m1835seit 1984 Baudenkmal[16]
Gradierwerk II58 m1932[17]
Bad Wilsnack50 m[18]
DinkelsbühlGradierpavillion im Stadtpark2022[19]
Duisburg40 mRevierpark Mattlerbusch40 m
Eibach (Dillenburg)2004
EssenGrugapark
Kevelaerca. 50 mSolegarten St. Jakobca. 50 m2019halbrunder Grundriss
Lüneburg58 m19071927 erweitert
Oelsnitz/Erzgeb.42 m2014[20]
Rheine66 mSaline Gottesgabe1751Einst fast 300 Meter langes Dorngradierwerk, die erste derartige Anlage in Westfalen.
Salzgitter-Bad2009Leckwerk in Form eines Pavillons zur Erinnerung an die bis 1926 betriebene Saline Salzliebenhalle
Salzkotten50 m1997[21]
Werl25 mGradierwerk Werl1997[22]
Werne50 mGradierwerk Werne1991
Xanten25 mGradierwerk Xanten2019Neubau im Rahmen der Anlage des Kurparks Xanten[23]

Frankreich

Österreich

  • Altaussee, erbaut 1956, überdachte viereckige Anlage, bestückt mit Tannenreisig
  • Bad Mitterndorf, überdachte Rundanlage im Kurpark, erbaut 2019
  • Bad Hall, überdachte Rundanlage im Kurpark
  • Gröbming, Kurpark, mit überdachter Anlage
  • Hallein, überdachte Rundanlage im Kurpark Bad Dürrnberg
  • Schwechat, Felmayergarten, fertiggestellt 1995, abgerissen
  • Wels, überdachte Rundanlage im Volksgarten, erbaut 1993

Polen

Heraldik

In Wappen ist das technische Bauwerk nicht häufig. Als Wappenfigur taucht die Darstellung stark vereinfacht auf, als Stirnansicht, seltener in Längsansicht. Die Seltenheit im Wappen hat noch keine besondere heraldische Bearbeitung erfahren. Die Salzherstellung ist über Salzhaken, Salzkristalle und Salzpfannen vereinfacht symbolisiert.

Weblinks

Commons: Gradierwerk – Album mit Bildern
Commons: Gradierwerke – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien
Wiktionary: Gradierwerk – Bedeutungserklärungen, Wortherkunft, Synonyme, Übersetzungen

Einzelnachweise