Hörfunk in Frankreich

Der Hörfunk in Frankreich zeichnet sich durch ein duales System aus. Dem öffentlich-rechtlichen Radio France mit mehreren Senderketten steht eine Vielzahl kommerzieller oder anderweitig finanzierter Sender gegenüber. Sowohl Radio France als auch die anderen Stationen bieten überregionale und regionale bzw. lokale Dienste an. Im Folgenden wird das Hörfunkwesen im europäischen Teil Frankreichs behandelt; bestehende und historische französische Sender in Übersee, Nordafrika etc. wurden ausgespart.

Allgemeines

Die Hörfunkrezeption in Frankreich und damit die Einschaltquotenstruktur nach Formaten unterscheidet sich von der Situation in Deutschland erheblich. In Frankreich hat bis heute das Wort einen höheren Anteil an der Hörfunknachfrage als in Deutschland, entsprechend die Musik einen geringeren. Des Weiteren ist die Hörfunknachfrage insgesamt, also Wort- und Musikprogramme zusammen, höher als in Deutschland. Dementsprechend sind vor allem die sogenannten radios généralistes, die meist landesweit senden und ein breit gefächertes Informations- und Unterhaltungsprogramm anbieten, die meistgehörten Sender. Darunter befinden sich mit RTL, RMC und Europe 1 einerseits und France Inter und France Info andererseits sowohl privat-rechtliche als auch öffentlich-rechtliche Anstalten.

Die werbefinanzierten Sender unter den radios généralistes haben ihren Ursprung in einer Zeit, als die Veranstaltung kommerziellen Hörfunks in Frankreich nicht genehmigungsfähig war und der französische Staat das Rundfunkmonopol beanspruchte (1945 bis 1981); aufgrund ihrer geographischen Lage (am Rande des Staatsgebiets) sind sie als postes périphériques bekannt. Sie nutzten vor allem starke Langwellen- und Mittelwellensender, um möglichst weit nach Frankreich hinein senden zu können. (Die Funkhäuser einiger dieser Hörfunkanstalten, namentlich von Europe 1, befanden sich gleichwohl in Paris; RTL produzierte meist in Paris und nur stundenweise in Luxemburg.) Die Popularität der postes périphériques führte dazu, dass lange Zeit der Radioempfang insbesondere über Langwelle großen Zuspruch fand, während sich das UKW-Netz im Vergleich mit Deutschland schleppend entwickelte. Das erheblich größere Staatsgebiet war ein weiterer Grund für den zunächst lückenhaften Ausbau der UKW-Präsenz selbst der öffentlich-rechtlichen Programme. Französische Automobile waren in der Regel so konstruiert, dass alle Funktionseinheiten langwellenentstört waren.

Die radios généralistes sind mit dem deutschen Begriff „Vollprogramm“ unzureichend beschrieben; ihr Programmschema weicht stark von dem ab, was im deutschsprachigen Raum üblich ist. Ein Großteil des Programms besteht aus Talk-Sendungen beziehungsweise Sendungen mit Hörerbeteiligung (Call-In-Sendungen). Nachrichten, Hintergrundsendungen, Interviews, Comedy- und Spielshows nehmen ebenfalls breiten Raum ein. Auffällig sind die Einschaltquoten: Obwohl ihre Programme für deutsche Hörgewohnheiten weniger unterhaltsam wirken (d. h. wortlastiger sind, mit langen O-Tönen und diese früher oft in Telefonqualität), sind die radios généralistes bis heute populärer als reine Musiksender. Das radio généraliste des öffentlich-rechtlichen Rundfunks, das seit 1963 ausgestrahlt wird, ist France Inter, das zuletzt – erstmals nach Jahrzehnten – vor RTL zum meistgehörten Hörfunkprogramm Frankreichs aufstieg.

Im Jahr 1994 wurde in Frankreich eine allgemeine Quote für den Anteil der französischen Musikproduktionen an der zwischen 6.30 und 22.30 Uhr insgesamt gesendeten Musik eingeführt. Mindestens 60 % der Sendezeit müssen mit Produktionen europäischer Künstler bestritten werden, insgesamt mindestens 40 % mit Produktionen von französischen Künstlern. Die Regel gilt nicht für Sender, die klassische Musik oder Programme für die in Frankreich lebenden ethnischen Minderheiten ausstrahlen. Die Förderung der französischen Interpreten ist Teil einer Politik, die sich unter dem Schlagwort der l’exception culturelle française auch auf das Fernsehen und das Kino erstreckt (décret Tasca vom 17. Januar 1990).

Öffentlich-rechtliche Sender

Die öffentlich-rechtliche Anstalt Radio France strahlt sieben Programme aus. Die Einschaltquoten beziehen sich auf die Daten von „Médiametrie“ für das erste Halbjahr von 2015. Die Angaben entsprechen dem weitesten Hörerkreis („mindestens einmal tagsüber gehört“)

Name des SendersGenreMarktanteil
France Interaktuelle Berichterstattung, Reportagen, Talk, Magazinsendungen, Musik10,6
France InfoNachrichten (Politik, Wirtschaft, Sport, Kultur, Wetter, Umwelt, Gesundheit)8,1
France BleuUnterhaltungs- und Informationsprogramm überwiegend im Stil der Magazinsendung mit überregionalem und regionalem Bezug, Regionalprogramme, Sendungen in Regionalsprachen; nur einige Teile des Programms sind landesweit einheitlich7,5
France CultureKultur, Wissenschaft, Gesellschaft2,3
France MusiqueKlassische Musik und Kultur-
FIPJazz, Pop, Chanson, Weltmusik, Klassik-
Le Mouv´aktuelle Chartmusik, Rap etc.1,0

Das reine Klassikprogramm France Vivace wurde Ende August 2010 eingestellt.

Privatsender

Postes périphériques

(Einschaltquote im ersten Halbjahr 2015):

Name des SendersMarktanteil (in %)
RTL12,1
Europe 19,2
RMC7,8

Als postes périphériques werden in Frankreich traditionell jene Stationen bezeichnet, die über starke Langwellen- oder Mittelwellensender vom angrenzenden Ausland auf Französisch werbefinanzierte populäre Informations- und Unterhaltungsprogramme nach Frankreich sendeten. Dies waren insbesondere Radio Luxembourg (RTL), Radio Europe N° 1 (Europe 1), Radio Monte Carlo (RMC), Sud Radio und Radio Andorre. Seit der Aufhebung des staatlichen Sendemonopols während der Präsidentschaft François Mitterrands in den 1980er Jahren konnten diese Sender Lizenzen zum Betrieb lokaler UKW-Sender auf französischem Territorium erwerben, was in einigen der genannten Fälle nahezu flächendeckend geschah, sodass das Sendegebiet über die ursprüngliche Zielregion (RTL und Europe 1 Nord- und Nordostfrankreich, RMC Süd- und Südostfrankreich) ausgeweitet werden und zugleich auf die störanfällige Ausstrahlung auf Lang- und Mittelwelle verzichtet werden konnte.

Musiksender

Die Senderketten strahlen ihre Programme landesweit über UKW aus:Die Sender für die junge Zielgruppe (14 bis 29 Jahre) haben dabei einen größeren Höreranteil als die der erwachsenen und älteren Zielgruppe (30 +). Vor allem Sender wie NRJ und Fun Radio genießen beim jungen Publikum große Beliebtheit, da sie im ganzen Land auch Konzerte und Partys veranstalten.

Name des SendersGenreMarktanteil (in %)
NRJaktuelle Chartmusik11,8
Fun RadioDance, RnB6,7
SkyrockRap, RnB6,6
Europe 2Pop, Rock, Elektro4,5
Nostalgiefranzösische/internationale Chansons5,5
RFMgrößte Hits aus 70ern, 80ern, 90ern, 200ern4,6
Chérie FMgrößte Hits aus 70ern, 80ern, 90ern, 2000ern4,5
RTL2Mix aus Pop und Rock4,3
MFM Radioausschließlich französischsprachige Musik
Rire & ChansonsSketche und Chansons-

Weitere Sender

Siehe unten Région parisienne. Zahlreiche der dort genannten Sender sind auch in anderen Landesteilen empfangbar.

Région parisienne

Insbesondere in Paris und seinem Umland sendet eine Vielzahl von Hörfunkstationen auf UKW, darunter zahlreiche Sparten- und Minoritätensender wie TSF Jazz, Radio Classique, Radio Orient, Beur FM, Espace FM, Radio Shalom, Fréquence Protestante, Radio Notre Dame etc., die in anderen Landesteilen nicht flächendeckend auftreten. Nirgends in Frankreich ist die Senderdichte so hoch wie in Paris.

MHz Sendername

  • 87,6 France Inter (Radio France)
  • 87,8 France Inter (Radio France)
  • 88,2 Générations
  • 88,6 Radio Soleil
  • 89,0 Radio France Internationale (Radio France)
  • 89,4 Radio Libertaire
  • 89,9 TSF Jazz
  • 90,4 Nostalgie
  • 90,9 Chante France
  • 91,3 Chérie FM
  • 91,7 France Musique (Radio France)
  • 92,1 Le Mouv' (Radio France)
  • 92,6 Tropiques FM
  • 92,9 RMP (reggae)
  • 93,1 Aligre FM; Cause Commune; Radio Pays
  • 93,5 France Culture (Radio France)
  • 93,9 Radio Campus Paris; Vivre FM
  • 94,3 Radio Orient
  • 94,8 Judaiques FM; Radio J; Radio Shalom; RCJ
  • 95,2 Ici et Maintenant; Néo
  • 95,6 Radio Courtoisie
  • 96,0 Skyrock
  • 96,4 BFM Business
  • 96,9 Voltage
  • 97,4 Rire et Chansons
  • 97,8 Ado FM
  • 98,0 Radio Enghien
  • 98,2 Radio FG
  • 98,6 Radio Alfa
  • 98,8 Espace FM (caribéen)
  • 99,0 Radio Latina
  • 99,5 AYP FM; France Maghreb
  • 99,9 Sud Radio
  • 100,3 NRJ
  • 100,7 Fréquence Protestante; Radio Notre Dame
  • 101,1 Radio Classique
  • 101,5 Radio Nova
  • 101,9 Fun Radio
  • 102,3 Oui FM
  • 102,7 MFM Radio
  • 103,1 RMC
  • 103,5 Virgin Radio
  • 103,9 RFM
  • 104,3 RTL
  • 104,7 EUROPE 1
  • 105,1 FIP (Radio France)
  • 105,5 FRANCE INFO (Radio France)
  • 105,9 RTL 2
  • 106,3 Fréquence Paris Plurielle
  • 106,7 Beur FM
  • 107,1 France Bleu Île de France (Radio France)
  • 107,5 Africa N° 1
  • 107,7 Autoroute FM

Geschichte

Hörfunk in Frankreich (Frankreich)
Paris,Eiffel,PTT,
PP,Cité,Île,37
La Doua,
Lyon
Marseille
Rennes
Bordeaux,
Sud-Ouest
Pyrénées,
Toulouse
Nord
Limoges
Alpes
Languedoc,
Montpellier
Strasbourg
Nice,
Médit.
Agen
Nîmes
Normandie
Standorte der Sender (1939;[1] öffentliche in Blau, private in Rot)

Am 24. Dezember 1921 begann der Poste de la Tour Eiffel (Eiffelturm-Radio), täglich Programme für die Allgemeinheit auszustrahlen, nachdem der Sender seit 1910 militärisch genutzt worden war. Am 6. November 1922 startete der Regelbetrieb des Privatsenders Radiola, der der Absatzförderung des gleichnamigen Rundfunkempfangsgerätes dienen sollte. So entstand in Frankreich von Anfang an ein duales Rundfunksystem. Dessen öffentliche Seite wurde von der Post-, Telegrafen- und Telefonverwaltung PTT getragen. Auf privater Seite kontrollierte u. a. der Eigentümer von Radio Toulouse, Jacques Trémoulet, eine Anzahl von Sendern.

Im Jahr 1945 nach dem Zweiten Weltkrieg erhielt die Radiodiffusion française (RDF, ab 1964 ORTF und ab 1975 Radio France) für fast 40 Jahre das Monopol für Rundfunksendungen, was die Entwicklung privater französischsprachiger Radios an der Peripherie Frankreichs, in Luxemburg, Andorra, Monaco, dem Saarland und Spanien, begünstigte (postes périphériques).

Sender aus der Vorkriegszeit

Die folgende Liste ist nach öffentlich-rechtlich und privat-rechtlich geordnet.

SitzProgrammSendetätigkeitTrägerschaftStandort der Sendeanlage
ParisPoste de la Tour Eiffel1921–öffentlichParis (Eiffelturm)
ParisParis PTT1923–öffentlichVillebon (1935)
LyonLyon La Doua1925–öffentlichTramoyes (1935)
ToulouseToulouse Pyrénées1925–öffentlichMuret (1936)
MarseilleMarseille Provence1925–öffentlichRealtor (1937)
BordeauxBordeaux Lafayette1926–öffentlichCarreire (1931); Néac (1940)
GrenobleAlpes-Grenoble1927–1939öffentlichGrenoble
LimogesLimoges PTT1927–öffentlichLimoges
RennesRennes PTT1927–öffentlichThourie (1936)
LillePTT Nord1927–1939öffentlichCamphin (1935)
MontpellierMontpellier Languedoc1929–öffentlichMontpellier (Hôtel des Postes)
StrasbourgStrasbourg PTT1930–1940öffentlichBrumath
ParisParis Mondial1931–öffentlichPontoise (1931); Rambouillet (1936); Allouis (1939)
ParisRadio-Paris1933–öffentlichSaint-Rémy (1931); Allouis (1939)
NiceNice PTT1936–öffentlichAntibes (1936)
ParisRadiola/Radio-Paris (1924)1922–1933privat (CSF-SFR)Levallois; Clichy (1924); Saint-Rémy (1931)
CaenNormandie/Caen1923–1930privatCaen
ParisPoste Parisien1924–1940privat (Dupuy)Les Molières (1932)
LyonLyon1924–privat (Laval)Dardilly (1935)
AgenAgen1924–privat (Trémoulet 1933)Domaine de Monbran (1932)
BordeauxBordeaux Sud-Ouest1924–1940privat (Trémoulet ab 1930)Château Birman, Cenon (1935)
MontpellierMontpellier1925–privat (Trémoulet ab 1935/39)Montpellier
ToulouseToulouse1925–privat (Trémoulet)Château de Saint Agnan (1933)
StrasbourgStrasbourg1925–1932privat (Amateurclub)Strasbourg
Mont-de-MarsanMont-de-Marsan1925–1925privat (Amateurclub)Mont-de-Marsan
ParisRadio LL1926–1935privat (Lévy)Paris (rue de Javel)
ParisRadio Vitus1926–1934privat (Vitus)Paris (rue Damrémont)
BéziersBéziers/Midi1926–1936privat (Bonnefous)Béziers
FécampNormandie1926–1939privat (Legrand)Louvetot (1938)
AngersAngers/Anjou1926–1927privatAngers
BiarritzCôte d'Argent1926–1928privatBiarritz
LimogesLimoges1926–1927privatLimoges
Juan-les-PinsJuan-les-Pins/Côte d’Azur/Méditerranée1927–privat (Casino)Juan-les-Pins (Casino)
NîmesNîmes1927–privat (Laval 1940)Vauvert (1938)
ParisPoste de l'Île-de-France1934–1940privat (Trémoulet)Romainville
ParisRadio-Cité1935–1939privat (Bleustein)Argenteuil (1937)
ParisRadio 371937–1940privat (Prouvost)Rueil-Malmaison
„Peripherie“: AndorraAndorra1939–1981privat (Trémoulet)Encamp, Andorra
„Peripherie“: LuxemburgLuxembourg1933–privat (CLR), während der deutschen Besatzung Luxemburgs (1940–1944) in den Sendebetrieb des Großdeutschen Rundfunks eingegliedertJunglinster
„Peripherie“: MonacoMonte Carlo1943–von der staatseigenen französischen Gesellschaft SOFIRA unter deutscher Besatzung gegründet als deutsches Propagandaradio für den unbesetzten Süden Frankreichs, ab 1945 in Eigentümerschaft des französischen Staates (repräsentiert durch die Nachfolgegesellschaft SOFIRAD[2]) und des Fürstentums MonacoFontbonne, Monaco

Literatur

  • Christian Brochand: Histoire générale de la radio et de la télévision en France. Tome I. 1921–1944. La documentation Française. Paris. 1994. ISBN 2-11-002992-7
  • Christian Brochand: Histoire générale de la radio et de la télévision en France. Tome II. 1944–1974. La documentation Française. Paris. 1994. ISBN 2-11-003031-3
  • Christian Brochand: Histoire générale de la radio et de la télévision en France. Tome III. 1974–2000. La documentation Française. Paris. 2006. ISBN 2-11-005613-4
  • René Duval: Histoire de la radio an France. Bibliothèque des media. Éditions Alain Moreau. Paris. 1979. ISBN fehlt.
  • Hélène Eck: La guerre des ondes: Histoire des radios de langue française pendant la 2ème Guerre mondiale. Paris : Colin u. a., Editions complexe, 1985. ISBN 2-601-00475-4
  • Ursula E. Koch, Detlef Schröder, Pierre Albert, Rémy Rieffel (Herausgeber): Hörfunk in Deutschland und Frankreich. La Radio en France et en Allemagne. Un dialogue entre journalistes et chercheurs. Journalisten und Forscher im Gespräch. Zweisprachiger Band. Verlag Reinhard Fischer. München. 1996. ISBN 3-88927-169-3

Weblinks

Commons: Französischer Hörfunk – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise